Was aus dem Schwarzen Loch geworden ist

FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / RATTLE (1)

28/08/17 Es hat – quasi im Nachhinein – gut in den Grisey-Schwerpunkt der diesjährigen Festspiele gepasst, das „kleine symphonische Gedicht – für Wolfgang“ von Georg Friedrich Haas. Der kommt ja auch schon lange nicht aus mit den zwölf Tönen, die unser konventionelles Tonleitersystem bereit hält.

Von Reinhard Kriechbaum

Das Stück, das auf acht Minuten kammermusikalisch durchhörbaren, aber üppigen Klangfarbenreichtum bereit hält, ist vor wenigen Tagen in Berlin uraufgeführt worden. Die Auftragskomposition der Berliner Philharmoniker war also logischerweise am Sonntag Abend (27.8.) im Großen Festspielhaus das erste Mal in Österreich zu hören. Ein wie in hoher emotionaler Anwandlung hingeworfen wirkendes Stück, das auf kleinem Raum einiges an instrumentationstechnischen Finessen aufblättert. Wie massige Bläserschichtungen sich irgendwie an den Rändern auflösen, in der Fläche genau so wie entlang der Umrisslinien Kontur und Differenziertheit gewinnen, das hat stark bildliche Imaginationskraft. Es ist auch nicht wenig raffiniert, wie der Orchesterklang mehrmals zwischen Bläser- und Streicherdominanz hin und her pendelt. Der reiche Kosmos an mikrotonalen Effekten tut sein übriges - „ein kleines symphonisches Gedicht – für Wolfgang“ ist anregend und wirkt alles andere als „klein“.

Im Programmheft-Interview verneint der Komponist dezidiert jeden zusammenhang seiner Komposition mit Haydns „Schöpfung“, der es an dem Abend voraus ging. So wie Sir Simon Rattle die Berliner Philharmoniker das „Chaos“ vor dem Eingriff des Schöpfers auffächern lässt, wie er vor allem die harmonisch falsche Fährten legenden Bläser-Irrlichter herauszeichnet: Das ließ im Nachhinein die Paarung mit dem Haas-Stück gar nicht so daneben erscheinen.

„Die Schöpfung“ hat Rattle schon 2008 bei den Osterfestspielen hören lassen. Seine Ur-Lust, sich Haydns pikanten Einfällen auf die Spur zu machen, ist seither nicht kleiner geworden, auch nicht die Deutlichkeit, mit der das Orchester Rattles illustrativen Zugang umsetzt. Haydns Ideenreichtum quasi in Breitwand.

Florian Boesch als Raphael ist unter den erzählenden Erzengeln ohne Zweifel der Chef: „Finsternis auf der Fläche der Tiefe“ – ein Schwarzes Loch ist nichts dagegen. Das Understatement, mit dem er nach dem sechsten Schöpfungstag konstatiert „und es war sehr gut“, hat aufmerksamere Zuhörer zum spontanen Auflachen gebracht. Aber auch nicht zu verachten, wie Florian Boesch sich im dritten Teil (dem komponierten Schrecken aller Feministinnen) als Adam an Eva wendet: „Komm“, singt er mit spontanem Macho-Gehabe, um sich flugs zu besinnen auf Schmeichelei: „Folge mir“. Da wird jede Eva weich und ihr „Dein Will' ist mir Gesetz, so hat's der Herr bestimmt“ ist etwas leichter zu ertragen...

Als Einspringerin für Genia Kühmeier war die junge Sopranistin Elsa Deisig diese Eva, in diesem Abschnitt lyrisch mit perfekter Legato-Geschmeidigkeit. Zuvor als Gabriel hat sie mit pikanten Verzierungen aufhorchen lassen. Dritter im Bunde eines Solistenensembles, das ob seiner besonderen rhetorischen Fähigkeiten im Gedächtnis bleibt, war der Tenor Mark Padmore. Seine Warnung als Uriel „...wenn falscher Wahn euch nicht verführt“ hat einen sinnieren lassen, ob man es da einen Dogmatiker oder einen Satiriker zu tun hat. Genau so soll es sein.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli