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Crudelia retro fata vocant

FESTSPIELE / BEAT FURRER / BEGEHREN

31/07/18 Man hat also vorgestern, in der Felsenreitschule, das ruinöse Begehren der Salome nach Jochanaan erlebt und gestern, im Landestheater, die Obsessionen zwischen Penthesilea und Achilles. Da wundert man sich am dritten Abend kein bisschen, dass auch zwischen Orpheus und Eurydice Abgründe sich auftun. Tiefere Klüfte, als aus der Distanz zwischen unserer Welt und der Unterwelt sich erklären ließen.

Von Reinhard Kriechbaum

Das also ist echte, Festspielen würdige und solche eigentlich erst rechtfertigende Dramaturgie: Wiewohl auf drei unterschiedlichen Programmschienen – Oper, Schauspiel, „Zeit für Furrer“ – angesiedelt, kann man inhaltlichen Fäden nachspüren. Man käme wahrscheinlich vorher gar nicht auf die Idee, zwischen Richard Strauss und Oscar Wilde, Heinrich von Kleist und Beat Furrer nach irgendwelchen Gemeinsamkeiten (oder Gegensätzen) zu suchen. Man hört und sieht plötzlich anders. Aus dem vermeintlich planbaren Opern-, Theater- oder Konzertbesuch erwächst Unerwartetes.

Beat Furrers Musiktheater „Begehren“, für das er „klassische“ Texte von Ovid und Vergil mit neuen Lesarten des Orpheus-Stoffes von Hermann Broch, Cesare Pavese und Günter Eich verband, wird man aus gehörigem musikhistorischen Abstand dereinst vielleicht als einen bahnbrechenden Aufbruch in die Oper des 21. Jahrhunderts werten. 2001 konzertant, zwei Jahre später szenisch uraufgeführt (beim „steirischen herbst“ in Graz), herrscht da ein quasi neuer Ton.Während das Musiktheater damals sich noch flächendeckend mit der Postmoderne herumschlug und fortschrittlichere Geister über eine ominöse Nach-Postmoderne spintisierten, schritt Beat Furrer, salopp gesagt, zur Tat: Für „Begehren“ braucht man gar nicht erst den Versuch unternehmen, irgendwelche Stil- oder Gattungs-Schubladen zu suchen. Das ist eine von unverwechselbarem Personalstil geprägte, selbstbewusste Musik. Große Musik, in der sich – wie Monika Mertl in einem einleitenden Programmheft-Interview zur vierteiligen Reihe „Zeit mit Furrer“ schreibt – „Intellekt und Sinnlichkeit in schöner Wechselwirkung zu ganz persönlicher Aussage verbinden, in einer höchst individuellen Klangsprache, die sich niemals auf Ergebnisse verlässt, sondern stets in unbekanntes Terrain vorzudringen sucht“.

Unbekanntes Terrain: In dieser Aufführung wurde das unter der Leitung des Komponisten als lebhaftes Relief durchgeformt und ausgekundschaftet vom Klangforum Wien. Diese Musikerinnen und Musiker führen jedes Pizzicato, jedes Atemgeräusch durch ein Blasinstrument, jeden impulshaften Spaltklang-Effekt vom vermeintlich desparatem Einzelereignis zu einem Ganzen zusammen. Der große Atem ist es, der Beat Furrers „Begehren“ auszeichnet und der hier beispielhaft umgesetzt wurde.

Dazu gehört natürlich auch das Vokalensemble – „Cantando Admont“, einstudiert von Cordula Bürgi – das von fabelhafter Raum-Elektronikern (Klangregie: Peter Böhm) eingeklinkt wurde ins instrumentale Gewebe. Solch subtile Durchhörbarkeit gelingt im akustisch unendlich heiklen Ambiente der Kollegienkirche nur in Ausnahmefällen.

Und dann natürlich „Er“ und „Sie“, die hier namenlosen Orpheus und Eurydike: Christian Reiner ist ein Sprechstimmen-Artist, der sich so selbstbewusst wie partnerschaftlich hineinziehen lässt ins Musikgeflecht. Er formt die Bögen sichtbar mit seinen spindeldürren Händen nach. Nicht ein Mal geriert er sich eitel. Dieses Sich-Zurücknehmen zeichnete auch „Sie“ aus, die Sopranistin Katrien Baerts. Seine und ihre Welt haben sprachlich und gedanklich herzlich wenig miteinander zu tun. Er spricht Deutsch, sie meist Latein, eine Erfüllung jedwelchen „Begehrens“ ist schon von daher wenig wahrscheinlich. Die Spannungen dieses anderthalbstündigen Werks führen aber weit über semantische Bedeutungen hinaus. Die zehn Episoden, fugenlos aneinander gefügt und doch deutlich voneinander abgesetzt, suggerieren latente Sehnsüche und jäh als unüberwindbar erkannte Grenzen.

Geradezu von beängstigender Archaik in den zentralen Szene fünf bis sieben, da „Er“ in ein „Auge der steinernen Leere“ blickt, während der wie in Zeitlupen-Gregorianik singende Chor und „Sie“ sich in Vergils Latein-Hexametern ergehen: „Crudelia retro fata vocant...“

Jubel für diesen Auftakt zur Konzertreihe mit Werken von Beat Furrer, für den Komponisten so verdient wie für die Ausführenden.

Die weiteren Termine des Zyklus „Zeit mit Furrer“ - 31. Juli und 2. August (20.30 Uhr Kollegienkirche) sowie am 6. August (19.30 Uhr Großer Saal des Mozarteums) – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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