Tapferkeit auf beiden Seiten der Rampe

FESTSPIELE / PERNERINSEL / HUNGER

05/08/18 Frank Castorf mobilisierte noch einmal seine bekannten Mittel, um auf der Halleiner Perner-Insel den Roman „Hunger“ von Knut Hamsun auf die Bühne zu bringen. Fast sechs Stunden Zeit muss man aufwenden für eine Aufführung, in der Castorf tief in seine altbewährte Trickkiste greift.

Von Werner Thuswaldner

Auf der Halleiner Perner-Insel als Spielstätte der Salzburger Festspiele waren immer wieder außergewöhnliche Theaterabende zu erleben. „Schlachten!“ gehörte dazu. Tiefpunkte gab es genügend. In dieser Kategorie war „Moliere“ von Feridun Zaimoglu ganz vorne mit dabei. Er wollte das Publikum schockieren, verbreitete aber nur Langeweile. Oft war Durchhaltevermögen gefragt, dies- und jenseits der Bühnenrampe. Etwa bei „Immer noch Sturm“ von Handke. In den hinteren, sich lichtenden Reihen hatten sich Zuschauer zum Schlafen ausgestreckt.

Und nun also Frank Castorf mit einer Dramatisierung des einst viel gelobten Romans „Hunger“ (einschließlich des darauf folgenden Romans „Mysterien“) von Knut Hamsun. Zum Schlafen war es während der fast sechs Stunden viel zu laut. Die Darsteller(innen) machten Krach, legten wenig Wert darauf, verstanden zu werden, weil sie oft schrien, was die Lungen hergaben.

Wie ergiebig ist denn Hamsuns Roman über einen Hunger leidenden Einzelgänger, namens Nagel, der in der norwegischen Hauptstadt darbt, sich zum Schriftsteller berufen fühlt und sich kaum über Wasser halten kann? Sollen wir uns in ihn einfühlen und uns seiner erbarmen? Nein, das wollen Hamsun und erst recht Castorf nicht. Sollen die sozialen Zustände im ausgehenden 19. Jahrhundert beklagt werden? Nein, auch nicht. Sollen wir uns für die einzelnen, meist zwielichtigen Charaktere interessieren, denen Herr Nagel begegnet? Wohl auch nicht, denn sie sind höchstens ein bisschen seltsam und vor allem gewöhnlich. Gibt es Spannungsmomente wie bei Dostojewski, dem Hamsun nachgeeifert hat? Auch das nicht.

Da musste Castorf also schon tief in seine altbewährte Trickkiste greifen, die ihm als Leiter der Berliner Volksbühne lange Jahre über die Runden half, um dem über weite Strecken hin stocksteifen Text für ein Publikum von heute Leben einzuhauchen. Hat Castorf mit dem Umstand etwas angefangen, dass Hamsun ein guter Freund von Goebbels und ein glühender Verehrer Hitlers gewesen ist? Nur ganz spärlich. Anfangs läuft einer über die Bühne und ruft immer wieder „Svastika“ (Hakenkreuz), das ist alles.

Die Ausstatter (Alexandar Denic, Adriana Braga Peretzki) hatten ein verschachteltes, mehrgeschossiges, drehbares städtisches Kretzl aufgebaut. Es bietet reichlich Schauplätze. Gelebt wird ausschließlich nachts, so dass der Lichtführung eine wichtige Rolle zukommt. Ein besonderer Clou: Ein McDonald`s bildet einen wichtigen Treffpunkt. Man staunt über so ausgiebiges product placement, denn die Marke wird auch noch besungen. Hoffentlich ist entsprechend viel Sponsorgeld geflossen. Und selbstverständlich gibt es Video-Einspielungen. Die kommen bei Castorf immer noch, wenn Abwechslung dringend gefragt ist.

Mitgebracht hat der Regisseur Mitglieder seines ehemaligen Berliner Ensembles, darunter die von vielen – nicht zuletzt wegen ihrer Reibeisen-Stimme - geschätzte Sophie Rois, Josef Ostendorf, der sich bei Christoph Marthaler bewährt hat, und der grimmig dreinblickende Lars Rudolf. Sie alle mühen sich ebenso wie Marc Hosemann als hungernder Herr Nagel redlich ab. Aber Leistungen, die länger in Erinnerung bleiben, sind nicht dabei.

Teile des Publikums fühlten sich dem Marathon-Syndrom verpflichtet und kamen sich am Ende als tapfere Sieger vor. Ein beträchtlicher Teil anderer scherte viel früher aus und tauschte die Hitze im Zuschauerraum gegen einen lauen Abend draußen.

Aufführungen bis 20. August auf der Pernerinsel – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Matthias Horn