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Dem Kirchenraum weit entwachsen

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / MUTI

13/08/18 Eigentlich verwunderlich: Warum wird Franz Schuberts geistlicher Schwanengesang, die Messe Es Dur D 950, gar so selten gespielt? Sie ist neben Mozarts c-Moll-Messe und der Missa solemnis von Beethoven ein heraus stechendes Beispiel für Musik, die den Kirchenraum und die Liturgie weit hinter sich lässt.

Von Reinhard Kriechbaum

Und sie ist ein Solitär ihrer Gattung im 19. Jahrhundert, der über Jahrzehnte an Novität in der Erfindung nicht eingeholt werden sollte (die Requien von Berlioz und Cherubini mal ausgenommen). Erst knappe vier Jahrzehnte später schrieb einer eine Messe von ähnlich blockhafter und zugleich melodienseeliger Art – Bruckner mit seiner Messe in e-Moll.

Und es ist doch „echter“ Schubert. Dass beides, die kühnen architektonischen Auftürmungen mit jähen Abbrüchen und das Liedhafte gleichermaßen überzeugend herausgekommen ist, dafür sind jetzt Riccardo Muti, die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen Garanten. Am Sonntag (12.8.) war das erste der traditionell drei Muti-„Philharmonischen“ auf Ferragosto hin.

Die Hauptrolle spielt der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor, gefordert zu fast ruppiger Eruption, doch wie im Handumdrehen beruhigt zu sanfter melodischer Schmeichelei, die oft aufs Schönste umgarnt wird von den Holzbläsern. Das ist Riccardo Mutis ureigenstes Terrain. Welch theatralischen Donner in der Gloria-Eröffnung! Eigentlich schon Bruckner in Reinkultur, aber der war da, 1828, gerade vier Jahre alt. Auch die Agnus-Rufe sind starker Tobak und lassen umso wirkungsvoller das lyrische „Dona nobis pacem“ hervortreten. Makellos hat der Chor das umgesetzt, und die Philharmoniker lesen, wenn's ernst wird, Riccardo Muti sowieso jeden Wunsch von den Augen ab. Und die Schubert-Messe nahm Muti entschieden ernst – im Gegensatz zu Schumanns Zweiter Symphonie vor der Pause, über deren Wiedergabe man bestenfalls sagen kann, dass eben kein Orchester so gewinnend raspelt wie dieses.

Die Probenarbeit scheint also ziemlich ausschließlich in Schubert geflossen zu sein, und es war in der dramaturgisch wohl gelenkten Wiedergabe aufschlussreich, hinein zu hören in die formalen Eigenwilligkeiten, die zahlreichen Textverschränkungen und -weglassungen. Schubert ist weit hinaus gegangen über das kirchlicherseits Gestattete, und über die Konvention seiner Zeit sowieso. Er hat sich auch besetzungsmäßig Extravaganzen erlaubt. Zwei Tenorsolisten (Michael Spyres, Maciej Kwasnikowski) und der Sopran (Krassimira Stoyanova) treten erst im Credo, im gar wundersamen „Et incarnatus est“ in Erscheinung. Die ganze Solistengruppe (hier mit Alisa Kolosova, Alt, und Gianluca Buratto, Bass) ist sonst nur noch homophon im Benedictus und ganz kurz im Agnus gefordert. Das Es-Dur-Werk ist also eine Chor-Messe par excellence. Vor allem die Lied-Leichtigkeit vom Staatsopernchor hat sich an diesem Abend nachhaltig eingeprägt.

Das Konzert wird am 14. und 15. August (jeweils 11 Uhr) im Großen Festspielhaus wiederholt, jenes am 15. August in Ö1 direkt übertragen.
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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