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Blut. Schweiß. Und Götterwirbel.

FESTSPIELE / THE BASSARIDS

17/08/18 Der eine will seine Mutter vom Tode erwecken und zu den Göttern erhoben wissen. Der andere die Frau Mama ins Bett oder doch wenigstens beim Sex in den Blick kriegen. Ganz dicht sind beide nicht, der Halbgott nicht und nicht der Mensch. Und so fließen alsbald Ströme von Blut in der Verwandtschaft von Dionysus und Pentheus.

Von Heidemarie Klabacher

Der Schneewittchen-Sarg steht links. Der Schlacht-Tisch steht rechts. Im Thronsaal warten Großvater, Mutter, Tante, Hofsterndeuter und Militärs auf den jungen König. Dieser trödelt nebenan im Schlafzimmer, ruht ruhelos auf einem jener alptraumhaften Schleiflackbetten, in denen die Eltern zahlloser Generationen ihren ehelichen Pflichten oblagen. Die Musik spiegelt die Ungeduld und steigende Unruhe beim verpatzen Fototermin. Wartet hier der Hofstaat eines Königs oder eines Diktators? Die Hauptperson greift immerhin schon nach dem weißen Hemd… Da klingt von weither und von ganz nahe überirdisch schöner Gesang. Und verweht. Die Herzen sind vergiftet.

Im prächtigen sieben-torigen Theben war den Königen noch nie viel Glück beschieden. Erwähnt sei nur Ödipus, von dessen Verfehlungen wir uns, dank Psychoanalyse, auch 2500 Jahre später noch nicht reinwaschen konnten. Ödipus hat seine Mutter wenigstens nicht begehrt, aber doch versehentlich geheiratet. König Pentheus begehrt seine Mutter Agaue sehr wohl, und wird von dieser denn auch geköpft und zerstückelt. Unter Mithilfe der Tante und angefeuert von einer ganzen Schar ekstatischer Weiber, die zuvor um Verstand und Anstand gebracht wurden von Dionysus.

Dieser hält sich keusch und aus allem heraus. Er bringt Wahnsinn, Verlangen und Blutgier in den Menschen nur hervor. Sein blütenweißes Gewand bekommt in der grandiosen Regie von Krzysztof Warlikowski keinen roten Spritzer ab. Da waten die anderen auf der Bühne der Felsenreitschule schon längst knöcheltief im Blut.

Worum geht es überhaupt? Wir befinden uns in Hans Werner Henzes Opera seria mit Intermezzo in einem Akt „The Bassarids“ aus 1966 auf das Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman nach „Die Bakchen“ des Euripides aus dem Jahr 406 nach Christus.

Die schöne Semele (diese also liegt im Glas-Sarg links) ist an göttlichen Blitzschlag verstorben. Sie wollte ihren Liebhaber Zeus in seiner wahren Gestalt sehen und hat das nicht überlebt. Sehr wohl überlebt hat das gemeinsame Kind – Dionysus – das Zeus gerade noch rechtzeitig aus dem Mutterleib herausholen und bis zum Geburtstermin im eigenen Oberschenkel vor der eifersüchtigen Gemahlin Hera verbergen konnte.

Und jetzt kommt der halbwüchsige Halbgott oder Halbmensch Dionysus zurück in die Heimat seiner Mutter an den Königshof von Theben. Dort hat soeben Cousin Pentheus, Sohn von Semeles Schwester Agaue, vom Großvater Cadmus die Königswürde übertragen bekommen. Pentheus Abstammung ist auch nicht rein menschlich: Sein Vater war einer der vom Großvater aus Drachenzähnen gesäten kampfwilligen Männer (Details bitte bei Bedarf in einem besseren Mythologie-Lexikon oder bei Köhlmeier nachlesen). Er will Dionysus nicht verehren und auch nicht länger glauben, dass Tante Semele von einem Gott persönlich eingeäschert worden ist. Er verbietet die weitere Pflege ihres Kultus, just in dem Moment, in dem Dionysus Verehrung für sich und Genugtuung für Semele verlangt.

Hans Werner Henzes Musik ist rauschhaft und ganz und gar unkompliziert. Ungeniert „schön“ lässt der Komponist schön sein, was schön ist, vor allem den verführerischen Gesang des Dionysus, den Sean Panikkar mit betörender Strahlkraft in der Stimme und schier übermenschlicher Leichtigkeit in der Darstellung über Leichen gehen lässt.

Was weniger schön ist, kommt exzessiv, klangvoll, keineswegs rein tonal, aber ebenso wenig zwölftönig-seriell-verkopft daher. Über diese genial opulente Musik schüttelt die Avantgarde seit jeher befremdet den Kopf. Wie auch immer die musikhistorische Einschätzung in hundert Jahren sein wird: Diese Musik ist ein Knaller. Sie funktioniert auf der Bühne, ist lebendig und lässt lebendig werden, was an Gutem und Grausigem im Menschen halt so verborgen ist. Ein perfekter Handlanger also der Mythologie. Kent Nagano am Pult der Wiener Philharmoniker bringt alle diese Facetten mit Präzision und grandiosem Gespür für den Klang zum strahlenden Leuchten oder zum schrillen Aufschrei. Die Opulenz behält dank Kent Nagano immer ihre Transparenz.

Krzysztof Warlikowskis Regie geht mit der Partitur eine geradezu amalgamhafte Verschmelzung ein. Jede Geste – sei es mit dem Putzfetzen an Semeles Schneewittchen-Sarg oder mit dem Schlachterbeil an Pentheus Kopf – ist aus der Musik gedacht. Die Bühne von Małgorzata Szczęśniak ist eine die Länge der Felsenreitschule füllende Zimmerflut. Wenn die Abstände zwischen den Handlugen zu groß werden, wird von hüben nach drüben projiziert.

Russell Braun ist der verzweifelt begehrende und sein Begehren verdrängende Pentheus. Willard White ist ein grandioser, väterlich mahnender Cadmus von überwältigender Präsenz. Nikolai Schukoff ist als blinder Seher Tiresias ebenso überzeugend wie als tuntige Calliope im ganz und gar verdorbenen „Spiel im Spiel“ um Adonis. Überwältigend ist die Leistung von Tanja Ariane Baumgartner als Agaue (und Venus), die nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch als bluttrunkene Bachantin an die Grenzen zu gehen weiß. Vera-Lotte Böcker überzeugt in der kleineren Partie ihrer Schwester Autonoe (und als Proserpine im Adonis-Spiel).

Károly Szemerédy ist zu bedauern als zum Wahnsinn verführter Captain der königlichen Wache und zu bestaunen als von den Göttinnen umgarnter Adonis. Die Stimme der Mäßigung und Vernunft gehört Anna Maria Dur als Amme Beroe. Eine zentrale Rolle spielt die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor in der Einstudierung von Huw Rhys James. Zentral sind die Auftritte der Damen, denen ein Gutteil der bluttrunkenen Atmosphäre zu danken ist. Glitzernde Augenblicke beschert die Tänzerin und Choreografin Rosalba Guerrero Torres als sinnliche Begleiterin des Dionysus. Sie alle entfachen ein Pandämonium, das einfach grandios war, erlebt zu haben.

Weitere Aufführungen am 19., 23. und 26. August in der Felsenreitschule – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig

 

 

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