Tönendes Orgien-Mysterien-Theater

FESTSPIELE / WEST-EASTERN DIVAN ORCHESTRA / BARENBOIM (2)

20/08/18 Nachzutragen von einem Ferragosto-bedingt überreichen Festspielwochenende ist das zweite Konzert des West-Eastern Divan Orchestra, am Freitag (17.8.) im Großen Festspielhaus. Es wurde auch im Bild aufgezeichnet und tags darauf in 3sat gesendet.

Von Reinhard Kriechbaum

Mag sein, dass die Bläser des West-Eastern Divan Orchestra noch nie so gut waren wie derzeit, dass auch das Streichercorps unterdessen mehr klangliche Eigenart hat als je zuvor. Eine orchestrale Verfassung jedenfalls, mit der man sich ohne jede Abstriche an Skrjabins wollüstig tönendes Orgien-Mysterien-Theater „Le Poème de l'extase“ op. 54 machen kann.

Nicht unraffiniert, diesem Stück „La Mer“ von Claude Debussy voran zu schicken. Beide Werke sind zeitnah in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, und beide Komponisten teilten das Schicksal, mit diesen Werken zu gerne missverstanden zu werden. Die drei Sätze von „La Mer“ sind eben „esquisses symphoniques“, Symphonische Skizzen. Sie wollen entschieden mehr sein als bloß malerische Umsetzung außermusikalischer Situationen, mehr als auratische Zustandsbeschreibungen.

Daniel Barenboim gilt nun nicht der große Analytiker in seiner Zunft, aber er hat „La Mer“ eben so spielen lassen, dass da auch nicht eine Spur von Nebelschwaden den Blick aufs bewegte Wasser und seine Formationen trübte. So durchsichtig und strukturell erhellt war eigentlich klar, dass mit Impressionismus in der Musik nicht Malerei in einem anderen Medium gemeint ist. Beide Komponisten, Debussy wie Skrjabin, hatten die symphonische Form vor Augen, den Klang im Ohr, und sie rangen um die die Verbindung aus beidem.

Die Herausforderung von „Le Poème de l'extase“ ist schließlich, diese zwanzig-Minuten wirklich als einen Sog, als eine zwanghaft den Hörer mitreißende Entwicklung darzustellen, was auch bedeutet: nicht alle Energie vorzeitig zu verpulvern. Sehr beeindruckend, wie gezielt Barenboim da eins aufs andere hat setzen lassen, und schier umwerfend, auf welchem emotionalen Pegel schließlich das Orchester landete. Was vielleicht Staunenmachte: Nach „Le Poème de l'extase“ geht sogar eine Zugabe, eine Petitesse von Edward Elgar war's.

Deutlich moderater, nach der Polonaise aus „Eugen Onegin“ als jovialem Auftakt-Knaller das Violinkonzert von Tschaikowsky. Die Geigerin Lisa Batiashvili nennt zwei Dinge ihr Eigen: erstens eine Guarnieri, deren Ton prägnant süßlich bleibt auch an Stellen, in denen solistische Attacke gefragt ist. Zweitens kommt Lisa Batiashvili aus einer Geigenschule, in der ein breites Fließen nicht verpönt ist: Das ist durchaus „old fashioned“, großzügig dimensioniert – und dies hat dem Tschaikowsky-Konzert noch nie geschadet. Barenboim, dem diese Haltung auch spürbar nahe ist, hat die Bläser mit geradezu rührender Aufmerksamkeit gelenkt. Irgendwie waren auch das „symphonische Szenen“, aber tendenziell von der lyrischen Art.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli