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Musik ist mehr als Nation

FESTSPIELE / LONDON SYMPHONY ORCHSTRA / RATTLE

21/08/18 Enthusiastisch äußerste sich Leos Janácek 1918 über die Befreiung von den Habsburgern mit Ende des Ersten Weltkriegs und die „Freiheit“, die über seiner Stadt Brünn aufstrahlte. Der Krieg, der Leonard Bernstein in seiner Symphonie The Age von Anxiety zu schaffen macht, verdunkelte schon zehn Jahre nach Janáceks Tod 1928 wieder den „Strahl der Freiheit“.

Von Heidemarie Klabacher

„Nationalmusik“ typisch für Geistes- und Lebenshaltung eines ganzen Volkes? „Slawische“ oder „Ungarische“ Tänze wären bei einer Umfrage gut für vordere Klischee-Preise. Wie auch Kärntnerlied. Wiener Walzer. Oder Alexis Sorbas-Sirtaki. Wie wenig solche „Nationalmusiken“ tatsächlich ihrem jeweiligen Klischee entsprechen, machte Sir Simon Rattle am Pult des London Symphony Orchestra beim Gastkonzert in Salzburg eindrücklich klar.

Die Slawischen Tänze op. 72 von Antonín Dvorák ergaben in dieser Lesart eine delikate Suite vielgestaltiger Tänze, denen nichts Folkloristisches oder gar tapsig Anbiederndes eignete. Zwar ließ Simon Rattle den ersten Tanz, einen geradtaktigen schnellen Hirtentanz, mit klingendem Spiel und federndem Übermut auffahren, doch schon mit dem zweiten Tanz, im schwebenden Drei-Achtel-Takt, entfaltete er einen ebenso eleganten wie sehnsuchtsvollen „Walzer“ zu dessen Klängen Angehörige jeglichen Landes sich der Melancholie ergeben könnten.

Genauso, wie mit Leonard Bernsteins The Age von Anxiety Menschen auf der ganzen Welt ihren Ängsten grauschwarze Klangfarben unterlegen könnten: Die Symphonie Nr. 2 für Klavier und Orchester, uraufgeführt am 8. April 1949 in Boston, ist eine Art Anti-Entspannungsmusik, die sich besser keiner „reinzieht“, der gerade innerlich weniger stabil ist. Mit Krystian Zimerman als Solisten an seiner Seite ergab sich Sir Simon Rattle mit geradezu beängstigender Intensität den düsteren Psychogrammen.

Zugrunde liegt The Age von Anxiety das gleichnamige Gedicht des amerikanischen Lyrikers W.H. Auden, der vier Charaktere in einer Bar über das Glück in den Zeiten des Krieges diskutieren lässt. Mit Prolog und Epilog, also sechs Sätzen, und solistisch eingesetztem Klavier geht Bernstein über die klassische Symphonie-Form hinaus. Die Zerrissenheit des Zeitalters spiegelt sich in der Zerrissenheit des Werks, in dem jazzige und symphonische Momente in dunkelbunter Beliebigkeit einander abwechseln. Für stilistische Geschlossenheit bei delikat herausgearbeiteten Momenten, besonders im Bläsersatz, steht Simon Rattle. Krystian Zimerman zu hören, ist immer eine Bereicherung.

Höhepunkt des Gastkonzertes der „Londoner“ war Leos Janáceks Sinfonietta op. 60 – gedacht vom Komponisten als eine Art klingender Leporello zum Lob auf die schöne Stadt Brno/Brünn, uraufgeführt 1926. Es wäre nicht der Komponist einer Jenufa oder einer Sache Makropulos, klängen diese Genrebilder tatsächlich nach „Ritterburg“ oder „Klosterruhe“. Vorgesehen hatte der Komponist solch sprechende Titel, in Druck gingen sie nicht. So ist etwa der zweite Satz Andante – ursprünglich „Burg“ – wohl mit turmhoch auffahrendem Bläserklang da und dort ein wenig heldisch konnotiert, stärker in Aug und Ohr fallen freilich bedrohliche Farben, die aus dem Burgverließ kommen könnten. Und tatsächlich war besagte Burg das Gefängnis der Habsburger, wie der Nazis.

Zeitgeschichte in Musik? Ein delikates, nachdenklich stimmendes Konzert – enthusiastisch bejubelt.

Bilder: Salzburger Festspiele /

 

 

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