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Neuer Geist in kurzen Hosen

FESTSPIELE / JUGEND OHNE GOTT

29/07/19 In einer Koproduktion mit der Berliner Schaubühne wird nun auch in Salzburg eine vielerorts produzierte dramatisierte Fassung des Romans Jugend ohne Gott von Ödön von Horvath aufgeführt.

Von Werner Thuswaldner

Woher die Liebe der Theater für diesen Horvath, der ja auch etliche vielgerühmte Bühnenstücke geschrieben hat, kommt, ist nicht einfach zu erklären. Klar, die Verführungskraft des Totalitarismus ist ein wichtiges zeitgeschichtliches Thema. Darauf haben aber auch schon andere Schriftsteller aufmerksam gemacht, und sogar weniger umständlich als Horvath. Aber sei's drum.

Die Festspielaufführung im Landestheater hat große Qualitäten. Regisseur Thomas Ostermeier, von dem auch die Textfassung stammt, schafft es, dass einem als Zuschauer das Gefühl für Dauer und Länge verloren geht. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist man nicht mehr verwundert, dass noch lang nicht Schluss ist, weil noch eine Szene folgt, dann noch eine und schließlich noch eine. Das hat damit zu tun, dass einen die Leitfigur, ein Lehrer, der im Buch der Ich-Erzähler ist, im Stich lässt. Er hat das Feld anderen überlassen.

Anfangs wird dem Publikum signalisiert, dass uns gezeigt werden soll, wie nachhaltig die Verblendung gewesen ist, die der Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren ausgelöst hat. Schüler einer ganzen Klasse wollen einen Lehrer boykottieren, weil der den Rassismus der Nazis nicht teilt, sondern sagt, dass die Neger in Afrika auch Menschen seien. Ostermeier sagt in seiner Fassung nicht „Neger“, sondern weniger provokant „Afrikaner“. Der Lehrer gerät unter Druck, er fürchtet um seine Altersversorgung. Die „Pensionsberechtigung“ ist ein wichtiges Thema in dem Stück. Eine Entscheidung wird aber zunächst nicht getroffen, denn die Klasse bricht zu einem Zeltlager auf.

Wir kennen das von HC Straches „Wehrsportübungen“: Herumgerenne in kurzen Hosen im dichten Wald, gebrüllte Kommandos .... Bezüge zur Gegenwart liegen auf der Hand. Einmal heißt es sogar in Anspielung auf das berühmte „Ibiza-Video“, dass Haselseiner keine Aufträge mehr bekommen werde.

Aber dann kommen andere Motive zum Zug: eine Liebesgeschichte, ein Kriminalfall, Diebstahl, Mord und Selbstmord. Der Lehrer macht sich schuldig, weil er das geheime Tagebuch eines Schülers liest, was schwerste Folgen nach sich zieht. Übersicht, Klarheit und Struktur geraten in die Krise.

Dennoch: Weite Strecken des Ablaufs sind zügig gestaltet. Die Darsteller wechseln temporeich die Rollen und Kostüme von Angelika Götz. Der Schauplatz ändert sich blitzartig. Bestimmend für die oft beklemmende Atmosphäre ist im Hintergrund der Spielfläche ein laubloser Wald, den Bühnenbildner Jan Pappelbaum aufgebaut hat. Diesem Wald werden mittels Videos von Sébastien Dupouey, der Beleuchtung von Erich Schneider und brausendem Wind großartige Effekte abgewonnen.

Viele im Publikum freuen sich, weil sie im Lehrer von Jörg Hartmann den „Kommissar Peter Faber“ aus dem Dortmund „Tatort“ erkennen. Adrett gekleidet mit Anzug und Krawatte – zieht er auch im Wald nicht aus und auch nicht, wenn er ins Bett geht – ringt sich dieser Mann zögerlich zu moralischen Prinzipien durch, verliert seine Lehrerstelle, muss aber letztlich doch nicht um seine Altersversorgung bangen, weil ihm ein Pfarrer zu einer Stelle in der Mission in Afrika verhilft. Viele andere im Ensemble (Bernardo Arias Porras, Damir Avdic, Veronika Bachfischer, Moritz Gottwald, Jörg Hartmann, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Lukas Turtur), in dem die unter Dreißigjährigen dominieren, die von Horwath entindividualisiert bloß mit Anfangsbuchstaben markiert sind, gewinnen durchaus starke Kontur.

Begeisterter Applaus des Publikums, das offenbar nicht vermisste, dass diesmal keine griechischen Götter vorkamen und auch der Klimawandel kein Thema war. Stimmt nicht ganz, denn der politische Klimawandel war ja doch ein wichtiges Thema.

Jugend ohne Gott – alle weiteren sieben Aufführungen im Landestheater sind ausverkauft – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Arno Declair

 

 

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