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Genialisches Getöse

FESTSPIELE / CAMBRELING

30/07/19 Die Konzertreihe Zeit mit Dusapin bietet auch Platz für den wesentlichen Lehrer des französischen Komponisten, für Iannis Xenakis. Und so erfüllten am Montag (29.7.) die Klanggewitter und Maschinengewehrsalven der Ballettmusik für Orchester und vierspuriges Tonband namens Kraanerg die Kollegienkirche.

Von Gottfried Franz Kasparek

Maschinengewehrsalven? Ja, das dominierende Thema des 75-minütigen Stücks kommt immer wieder daher gerattert, meist in brutaler Schärfe, geballter Motorik und überrumpelnder Energie. Kraanerg natürlich eine griechisch inspirierte Wortkreation, könnte man mit „Vollendete Energie“ übersetzen. Xenakis war nicht nur ein genialischer Konstrukteur mathematischer Tonwelten, sondern durchaus auch ein emotionaler Musiker. Hinter dem für Roland Petit entstandenen, als Ballett wenig erfolgreichen Werk steckt die Zeit der Entstehung – es dräuen und wabern die Umwälzungen von 1968.

Aber nicht nur die Proteste der Studenten werden da zusammengeschossen, sondern der Komponist erinnert sich wieder einmal an sein eigenes Schicksal als linker Student in Griechenland. Schließlich war er nur knapp der Hinrichtung entgangen und hatte sich nach Paris geflüchtet, wo er zunächst als Assistent des Architekten Le Corbusier arbeitete, ohne zu wissen, dass dieser ein klammheimlicher Nazi.-Sympathisant gewesen war…

Diese Verwerfungen und Verwirrungen der Zeit sollte man bedenken, ehe man, wie einige Leute im Publikum, vorzeitig die Flucht vor dem Getöse ergreift. Und vielleicht ein wenig Programmheft lesen, wenn man Fluchtgedanken bekommt. Auch die Partitur könnte dienlich sein, vor allem für mathematisch gebildete Menschen. Mit Zurücklehnen und Genießen ist da nichts. Und ja, der vortrefflich organisierte Lärm kann auf die Länge nerven, sogar foltern. Wendet man den Blick allerdings in Richtung Kirchenkuppel, wirkt das Orchester, diesfalls das auf diesem Terrain nicht schlagbare Klangforum Wien, wie eine Gruppe von Leuten, die einem Ritual nachgehen, befeuert von Oberpriester Sylvain Cambreling am Dirigentenpult.

Der Maestro hat nicht immer viel zu tun, denn im ersten und dritten Teil gibt es lange Passagen, die vom Tonband kommen. Alle Achtung gebührt der Technik, die das in seiner Art einzigartige Stück perfekt in den Kirchenraum wuchtete – schon laut, aber nicht die Grenzen des Erträglichen überschreitend, mitunter Raum lassend für manch sensiblere Verästelungen, die sich in der wuchtigen Komplexität der Textur verbergen.

Es gibt auch immer wieder Generalpausen in der geballten Dramatik. Und da klang gegen Ende von ferne zarte Musik herein. Ein Streichquartett gar? Straßenmusik am Universitätsplatz? Nach dem großen Applaus für die Ausführenden geht es hinaus ins Freie und in der Tat, da spielte im Ritzerbogen ein Streichquartett von vier jungen Damen allerlei Unterhaltsames, übrigens mit Charme und Können.  Der Rezensent gibt zu, dass er die noch gehörte Zugabe, einen feurigen Csardas, sehr genossen hat. Wie ein fruchtiges Dessert nach einem scharfen, schwer verdaulichen Braten. Wie schön, dass Musik so viele verschiedene Ausdrucksformen hat!

Bild: SF / Marco Borelli

 

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