Die andere Seite von #metoo

FESTSPIELE / SALOME

26/08/19 Den geheimnisvollen Gefangenen in der Zisterne zu sehen: Das fordert diese Kindfrau gegenüber Narraboth mit so selbstgewisser Hartnäckigkeit ein, wie sie am Ende von Herodes den Kopf des Johanaan einfordern wird. Die Salome, in der letzten Woche dieser Festspiele für drei Aufführungen wiederaufgenommen, ist auch im zweiten Jahr die Stunde der Asmik Grigorian. Und des Franz Welser-Möst.

Von Reinhard Kriechbaum

Nicht von ungefähr ist Asmik Grigorian für diese Rolle heuer in der Kategorie Beste weibliche Hauptrolle mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet worden. Die Welt, die Salome-Welt, sei eine andere nach dieser Aufführung, schwärmte die „Zeit“ über das Gesamtkunstwerk aus musikalischer Dichtheit und optischer Fassung. Das Wiedersehen im Jahresabstand bestätigt: Romeo Castellucci, Regisseur, Ausstatter und Konzeptkünstler, hat aus einer einmaligen Konstellation – der fabelhaften Titelrollenträgerin, der Felsenreitschule als Ort und nicht zuletzt den Wiener Philharmonikern unter Welser-Möst – eine Produktion zuwege gebracht, die ausschließlich hier und nirgendwo sonst in dieser Form zustande hat kommen könnnen. Wann darf man schon sagen, dass einer Festspielaufführung tatsächlich das Signum des Einzigartigen zukommt?

Nur einer Rollengestalterin vom Format der Asmik Grigorian ist es gegeben, sich scheint's mühelos gegen das ungemein starke Metaphernspiel Castelluccis zu behaupten. Sie liefert das scharfe Psychogramm einer Kindfrau, die offensichtlich unter der Dauerbeobachtung lüsterner Männerblicke steht (und es blieb nicht bei Blicken!) und ihre Lektion verinnerlicht hat. Sie wird sich Narraboth gegenüber schon fast zwanghaft-berechnend verführerisch geben. Was man gerade noch als verunglückte Koketterie einer Pubertierenden durchgehen lassen könnte, wird unversehens pathologische Form annehmen.

Absolut seelen-verhärtet wird sie sich dem kopflosen Torso des Johanaan auf den Schoß setzen. Mit enthemmter Leidenschaft trotzdem wird sie singen vom bitteren Geschmack, ohne dass da ein Mund zum Küssen gewesen wäre. Der Pferdekopf ist eben nur Metapher wie das herumhängende Zaumzeug. Spiegel der Sehnsucht nach einer Form viriler Stärke, die vielleicht beherrschbar wäre für die junge Frau, sonst ohnmächtiges Opfer sexueller Gewalt (der Blutfleck hinten am weißen Kleid ist unmissverständlich).

Am selben Festspielabend, an dem zur Nachmittagsstunde Placido Domingo bei seinem Salzburger Auftritt vom Publikum die #metoo-Absolution empfangen hat, sah man also in der Felsenreitschule, in Salome, die Folgen sexueller Gewalt in krassester Form. Das ist nicht Dramaturgie, sondern Leben pur. Angst und bang könnte einem werden.

Eigenrtlich hält man das überhaupt nur aus, weil es aus dem Orchestergraben Richard Strauss mit wiener-philharmonischer Authentizität tönt, sprich: In diesem Riesenraum kommt der kantige Expressionismus, der natürlich auch anklingt, so angriffig nicht heraus. Franz Welser-Möst spielt sehr gezielt und plausibel mit den mildernden Farben, dem insgesamt weichen Timbre, und den – ja wirklich! – charmanten Tanzmustern. Verführerischer Schein und unerfreuliches Sein dieser Bühnenfigur überlagern einander. Wieder also: So unverdächtig verkleidet kann einer jungen Frau das Unsägliche begegnen.

Wie die Seelenversteinerung der Salome eingeschrieben ist dem Sandstein der Felsenreitschule (sogar die Arkaden sind versteinert), das und vieles andere ist anlässlich derv Premiere bereits ausführlich beschrieben worden. Keine sieben Schleier, ein knappes schwarzes Höschen.

Salome tanzt nicht, sondern kniet regungslos, weil von einem schwarzen Band gefesselt, auf einem Stein, auf den sich langsam ein weiterer Felsblock von oben senkt, wie um das zarte Wesen zu zermalmen: Es sind szenische Entwürfe, die man vielleicht auf Jahrzehnte nicht aus dem Kopf bekommt.

Gábor Bretz (Jochanaan), John Daszak (Herodes), Anna Maria Chiuri (Herodias), Julien Prégardien (Narraboth) – gebündeltes Charima, wenn auch im Einzelnen niemand an die so grandios sich entfaltende, in ihrer Konzentriertheit Ehrfurcht einflößenden Asmik Grigorian herankommt.

Weitere Aufführungen am 28. August um 20 Uhr und am 31. August um 16 Uhr – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Ruth Walz
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