„Die Wiener Philharmoniker fühlten sich, so schien es im Großen Festspielhaus, von Haitink bis ans letzte Streicher- und Bläserpult motiviert, ernst genommen in ihrer Mitbeteiligung. Dass der Doyen der Bruckner-Interpretation mit einem ökonomischen Mindestmaß an Bewegung auskommt, ist ja legendär. Seine sanften, dem Auditorium mehrheitlich verborgen bleibenden Winke finden augenblicklich ihr Echo.“
Das ist keine visionäre Voraus-Kritik, sondern ein Rückblick auf den 6. August 2015: Bernard Haitink am Pult der Wiener Philharmoniker dirgierte bei den Festspielen die Achte Bruckner. Nun kehrt der Maestro – zumindest „dienstlich“ – ein letztes Mal zurück nach Salzburg. Und es wird einer der ganz großen sein, der dann wenige Tage später, am 3. September in London und am 6. September in Luzern, mit den Wiener Philharmonikern seine letzten Konzerte gibt: Auf dem Programm stehen jeweils Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op.58 mit dem Solisten Emanuel Ax und Bruckners Siebte.
„Ich bin neunzig“, erklärte der Dirigent seinen Schritt anlässlich seines letzten Konzertes im Amsterdamer Concertgebouw am 15. Juni im Gespräch mit einer niederländischen Zeitung. Er betonte zwar, er wolle ein Sabbatical nehmen (das steht so auch in seiner Festspiel-Biografie) und nicht, er höre auf: „Ich habe keine Lust auf all diese offiziellen Abschiedsdinge“, zitiert BR Classic den Maestro, „aber es ist eine Tatsache, dass ich nicht mehr dirigieren werde.“
Ganz entkommt er den „offiziellen Abschiedsdingen“ also nicht. Doch die Ehrenmitgliedschaft bei den Wiener Philharmonikern hätte den großen Dirigenten wohl ohnehin demnächst ereilt: „Die Ehrenmitgliedschaft ist Ausdruck unserer langjährigen tiefen künstlerischen Verbundenheit. Wir erinnern uns gerne an viele gemeinsame Sternstunden“, sagte Orchester-Vorstand Daniel Froschauer, bei der Verleihung im Rahmen einer Probe im Großen Festspielhaus. „Maestro Haitink ist 1972 erstmals mit den Philharmonikern aufgetreten.“ Seither habe Haitink die Wiener Philharmoniker über hundert Mal dirigiert, „bei Abonnementkonzerten, bei Konzerten und Opern der Salzburger Festspiele und bei Gastspielen in den USA, Japan und Europa“.
Bernard Haitink erhielt seine Ausbildung in seiner Heimatstadt Amsterdam. Seine Dirigentenlaufbahn bei Dirigierkursen des Niederländischen Rundfunks. 1957 war er bereits Chefdirigent der Niederländischen Radiophilharmonie mit der er 1954 sein erstes öffentliches Konzert gegeben hat. 27 Jahre lang war Haitink Chefdirigent des Königlichen Concertgebouw-Orchesters. Heute ist er Schirmherr der Radiophilharmonie und Ehrendirigent des Concertgebouw-Orchesters.
Bernard Haitink war Musikdirektor des Glyndebourne Festival und des Royal Opera House, Covent Garden, sowie Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra, der Staatskapelle Dresden und des Chicago Symphony Orchestra. Er ist Ehrenmitglied der Berliner Philharmoniker, des Chamber Orchestra of Europe und seit einigen Tagen eben auch der Wiener Philharmoniker. In Anerkennung seiner Verdienste um die Musik erhielt Bernard Haitink zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter der Gramophone Lifetime Achievement Award. 2007 kürte ihn Musical America zum Musiker des Jahres. Erwähnt, weil er die Symphonie erst 2017 bei den Festspielen mit den Wienern gespielt hat, sei der ECHOklassik für die Einspielung von Gustav Mahlers Neunter mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Haitink ist Kommandeur des Ordens vom Niederländischen Löwen und in Großbritannien Companion of Honour, er ist Ehrendoktor der Universität Oxford und des Royal College of Music.
Noch einmal aus der dpk-Kritik Reinhard Kriechbaums von 2015 zitiert: „Es wäre kein Bruckner von der starken Hand des 86jährigen gewesen, wenn er nicht bis zuletzt auf die Kontrolliertheit gesetzt hätte: Feierliches Forte und kein niederschmetternder Blech-Knall am Ende – und danach fünf Sekunden absolutes Schweigen.“