Kampf und Sieg

FESTSPIELE / GEWANDHAUSORCHESTER / NELSONS

29/08/19 Geplant oder nicht: Knapp vor Anton Bruckners 195. Geburtstag am 4. September bescheren die Festspiele sich und den Bruckner-Fans ein kleines Festival im Festival mit drei seiner Sinfonien. Da darf das Bruckner-Orchester der ersten Stunde nicht fehlen, das Gewandhausorchester Leipzig - unter seinem Chefdirigenten Andris Nelsons.

Von Horst Reischenböck      

Vor 55 Jahren gastierte das Gewandhausorchester Leipzig das erste Mal in Salzburg. Von seinen jetzigen Mitgliedern war damals noch niemand mit dabei. Logischerweise auch damals nicht, als die Leipziger einst, geleitet vom legendären Arthur Nikisch, der Siebten Symphonie von Anton Bruckner und auch diesem selbst als Komponist zu erstem ersehnten Erfolg verhalfen.

Unter Herbert Blomstedt wurden bereits alle seiner neun Sinfonien dokumentiert. Ein Projekt, das der jetzige, aus Lettland stammende Chefdirigent Andris Nelsons des Gewandhausorchester wiederholt: Derzeit befindet er sich mit „seinem“ Orchester und Bruckners Symphonie Nr. 8 c-Moll WAB 108 in der Edition von Leopold Nowak auf Tournee. Damit gastierte man am Mittwoch (28. 8.) mit großem Erfolg auch im Großen Festspielhaus.

Von Besetzung und zeitlicher Ausdehnung her handelt es sich um Bruckners gewaltigste Orchesterkomposition. Ihr schnellster Interpret, der Argentinier Carlos Païta, benötigte dazu eineinviertel Stunden, im Vergleich dazu Sergiu Celibidache für die vier Sätze ganze zwanzig Minuten länger! Nelsons klinkte sich genau im Mittelfeld dazwischen ein.

Auch dieses Werk war für Bruckner ein Schmerzenskind und von ihm zeitraubend überarbeitet. Das kostete ihn bekanntlich die Vollendung seiner Neunten. Hier nun ließ er ein einziges Mal nach mehrfach steigernden Anläufen den dramatisch kämpferischen Kopfsatz ausweglos und emotional bewegend mit der „Totenuhr“ wie eine Kerze erlöschen. Die acht Kontrabässe des Gewandhausorchesters reichten zum dazu dunklen Einstieg vollkommen aus, um der Bruckner'schen „Todesverkündigung“ fundamentalen Raum zu geben, in dem grandios mehrere Steigerungswellen den Helden mit beeindruckendem  Wagner-Tuben-Quartett dann hörbar zum Scheitern verdammten.           

In Bruckners längstem Scherzo durften sich die phänomenalen Holzbläser samt den drei Harfen im Trio über dem Streicher-Teppich verbreiten, der danach wunderbar weich sonor seufzend ins „feierliche“ Adagio überschwappte. Für Eduard Hanslick, der Bruckner eigentlich als sanften Menschen einstufte, war‘s einst „traumverwirrte Katzenjammermusik“: Ein Urteil, das uns heute mehr als unverständlich anmutet. Zumal Andris Nelsons Zeichengebung von der Stimmung her auf schier unendlichen Atem aufbaute – bis endlich strahlende Beckenschläge die fünf Blech-gepanzerten zum Mysterium sich steigernden Crescendi-Wogen akzentuierten.

Danach galoppierte Nelsons samt den Leipzigern vehement ins fulminante Finale. Dessen kontrapunktische Kombinationen in den Durchführungsteilen wurden perfekt entschlüsselt. Und letztlich alle klanglichen Finessen in die Überhöhung der Coda mit ihrer simultanen thematischen Überlagerung aller Kopfmotive in glanzvoll bekrönende Dur-Apotheose hinein überführt. Ein Triumph für alle Ausführenden, rundum beglückend und entsprechend langanhaltend stürmisch bejubelt.   

Bilder: SF / Marco Borelli