Viel Zeit mit Beethoven und Feldman

SALZBURGER FESTSPIELE 2020 / KONZERTPROGRAMM

18/11/19 In einem kurzen Statement will der Pianist Igor Levit die Geschichte der Klaviermusik „in eine Zeit vor und nach der Waldsteinsonate“ geteilt wissen. 873 Takte, die die pianistische Welt veränderten? Das Beethoven-Jahr jedenfalls ist ein Anlass, dass Igor Levit im Festspielsommer 2020 die 32 Klaviersonaten an acht Abenden spielt.

Von Reinhard Kriechbaum

Konzerte gibt es bei den Salzburger Festspielen übrigens seit 1921, also erst ab dem zweiten Jahr. 99 Jahre ist aber auch eine runde Zahl. Wenn wir also bei Beethoven (250 Jahre) und Festspielen (100 Jahre) sind, kann man das schön mit Daniel Barenboim zusammen führen: Er wird am 19. August Beethovens Diabelli-Variationen hören lassen, und das wird auf den Tag Barenboims 70-Jahre-Podiumsjubiläum sein. In den weiteren Solistenkonzerten sind unter anderen Martha Argerich, Renaud Capuçon, Anne-Sophie Mutter, Maurizio Pollini, András Schiff, Grigory Sokolov, Daniil Trifonov und Arcadi Volodos zu hören.

Was mit dem Zeitfluß als Festspiel im Festspiel etabliert und mit den Kontinenten sowie Salzburg contemporary fortgeschrieben wurde, heißt seit dem Vorjahr „Zeit mit …“. Im kommenden festspielsommer soll man solche mit Musik des US-amerikanischen Komponisten Morton Feldman (1926–1987) verbringen. „Seine Musik isrt bemalte Leinwand“, sagt Intendant Markus Hinterhäuser über Feldman, der auch selbst einmal erklärte, man könne seine Stücke „mit einer Zeit-Leinwand vergleichen. Ich bemale diese Leinwand mit Musikfarbe.“ Das Leise, Zarte, Leichte und die oft ausufernde Dauer seiner Werke verlangen eine spezielle Form des Zuhörens, weshalb Still life – Zeit mit Feldman auch in der Kollegienkirche mit ihrer speziellen Atmosphäre und Akustik verortet ist.

Das Klangforum Wien bringt in zwei Konzerten unter der Leitung von Sylvain Cambreling u.a. die beiden Schlüsselwerke, For Samuel Beckett und Rothko Chapel, zur Aufführung. Markus Hinterhäuser malt mit dem Schlagzeuger Martin Grubinger und dem Flötisten Dietmar Wiesner Feldmans Crippled Symmetry. Höhepunkt der Reihe ist die konzertante Aufführung von Morton Feldmans Oper Neither auf einen Text von Samuel Beckett mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Ilan Volkov und mit Sarah Aristidou als Solistin, die mit diesem Konzert ihr Festspieldebüt gibt.

Sich bedingungslos auf die Musik und das Hören einzulassen, darum geht es auch in einem neuen Konzertformat der Festspiele: den Moments musicaux. Mit Stücken dieses Titels schenkte Franz Schubert der Welt sechs einzigartige musikalisch-poetische Momentaufnahmen, und solche soll – als echte Überraschubngspakete – auch die fünfteilige neue Konzertreihe bieten. Die Künstlernamen stehen im Programm: Asmik Grigorian, Patricia Kopatchinskaja, Clemens Hagen, Markus Hinterhäuser, Igor Levit, Martin Grubinger, dem Klangforum Wien, Emilio Pomàrico, musicAeterna, Teodor Currentzis und andere. Wer aber wann und was spielt, das wird vorab nicht kundgetan.

Die Wiener Philharmoniker sind 1925 traten zum ersten Mal unter diesem Namen bei den Salzburger Festspielen aufgetreten, aber schon 1921 waren Mitglieder der Wiener Staatsoper an Orchesterkonzerten beteiligt, ab 1922 dann das Orchester der Wiener Staatsoper. Den Auftakt im „philharmonischen“ Festspielsommer 2020 macht Mariss Jansons mit Richard Strauss’ Rosenkavalier-Suite und der Alpensinfonie sowie Frank Martins Sechs Monologen aus Jedermann mit Matthias Goerne. Andris Nelsons dirigiert Mahlers Dritte Symphonie, Riccardo Muti leitet die Wiener in seinen drei Konzerten um den 15. August – die Neunte von Beethoven hat er noch nie bei den Festspielen gemacht. Christian Thielemann dirigiert Bruckners Vierte sowie Wagners Wesendonck-Lieder mit Elīna Garanča. Gustavo Dudamel ist für den fünften Philharmoniker-Termin unter Vertrag.

Daniel Barenboim überlässt erstmals einem jungen Kollegen die Leitung des West-Eastern Divan Orchestra. Der junge israelische Dirigent und Pianist Lahav Shani, der mit der Saison 2020/21 als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra Zubin Mehta nachfolgt, dirigiert das zweite Konzert dieses Ensembles, aber Daniel Barenboim ist auch dabei, als Klaviersolist. Ebenfalls zwei Konzerte spielen die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko, unter anderem mit Daniil Trifonov als Solisten. Zu den Stammgästen bei den Salzburger Festspielen zählt auch das Gustav Mahler Jugendorchester. Teodor Currentzis ist mit seinem musicAeterna Choir & Orchestra nicht nur in der Oper, sondern auch in verschiedenen Konzertreihen zu Gast, etwa mit dem Adagio aus der Zehnten Symphonie von Gustav Mahler und der Pathétique von Peter I. Tschaikowski. Das ORF Radio-Symphonieorchester, das gerade sein 50-jähriges Bestehen feierte, spielt unter Kent Nagano Leonard Bernsteins große Symphonie Kaddish sowie Mahlers Lied von der Erde. Das Pittsburgh Symphony Orchestra schließlich wird unter der Leitung von Manfred Honeck anreisen.

Die Liederabende gestalten Christian Gerhaher, Matthias Goerne, Benjamin Bernheim, Marianne Crebassa sowie Juan Diego Flórez, Sonya Yoncheva singt unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner und in Begleitung der Lautten Compagney Berlin. Ema Nikolovska und Jan Petryka interpretieren mit András Schiff das „Tagebuch eines Verschollenen“ von Leoš Janáček.

Kammerkonzerte geben im kommenden Festspielsommer unter anderen das Meta4 Quartet, das Belcea Quartet, Mitglieder der Wiener Philharmoniker und das Hagen Quartett. Gidon Kremer, Giedrė Dirvanauskaitė und Georgijs Osokins kombinieren Werke von Mieczysław Weinberg, Frédéric Chopin und Sergej Rachmaninow. The Big Six – Martin Grubinger und sein Percussive Planet Ensemble – beschließen den Reigen an Kammerkonzerten mit sechs großen Schlagwerk-Sextetten von Friedrich Cerha, Wolfgang Rihm, Iannis Xenakis, Gérard Grisey und Steve Reich.

1927 hat man Mozarts c-Moll-Messe erstmals in St. Peter aufgeführt. Diemsal gestalten sie Raphaël Pichon und sein Pygmalion Choir & Orchestra. Es gibt ob der zu erwartenden starken Nachfrage zwei Termine.

Das Mozarteumorchester zählt natürlich auch zu den Festspiel-Frühstartern (seit 1921). Die Dirigenten der Mozart-Matineen im nächsten Sommer sind Riccardo Minasi, Ivor Bolton, Andrew Manze, Gianluca Capuano und Adám Fischer. Ingo Metzmacher und Alexander Lonquich leiten die beiden Camerata-Konzerte.

Die Camerata Salzburg trägrt auch die drei Finalistenkonzerte (6. bis 8. August) des Young Conductors Awards, der 2020 unter neuem Namen wiederbelebt wird: Er wird fürderhin Herbert von Karajan Young Conductors Award heißen. Klar, dass es das Young Singers Project wieder gibt, zum zwölften Mal schon. Die Teilnehmer des Young Singers Project gestalten die diesjährige Kinderoper Vom Stern, der nicht leuchten konnte (eine Uraufführung von Elisabeth Naske und Ela Baumann).

Sonderkonzerte gestalten Teilnehmer an der Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, es gibt wieder ein Blasmusikkonzert der Wiener Philharmoniker (mit Blasmusiknachwuchs diesmal aus Kärnten und Salzburg). Und klar, die Preisträger der Internationalen Sommerakademie der Universität Mozarteum bekommen auch wieder ihr abschließendes Festspiel-Konzert.

Das Programm im Detail: www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli (1); Marco Borggreve (2); Anne Zeuner (1)
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