Schwerer Honig aus den hohlen Waben

FESTSPIELE / DER TRAUM VON EINEM FEENTEMPEL

12/01/20 Vom 20. Jahrhundert wurde nicht viel verschont. Unter den Überlebenden befinden sich aber auch die nie ganz Geborenen als Ideen von dem, was möglich gewesen wäre. Die Festspiele präsentieren von Mai bis Oktober nie gebaute Festspielhäuser im Spiegel aktueller  Kunstprojekte.

Von Franz Jäger-Waldau

„Und Straßen laufen durch das Gras, und Orte / sind da und dort, voll Fackeln, Bäumen, Teichen / und drohende, und totenhaft verdorrte... / Wozu sind diese aufgebaut? Und gleichen / einander nie? Und sind unzählig viele? / Was wechselt Lachen, Weinen und Erbleichen? / Was frommt das alles uns und diese Spiele, / die wir doch groß und ewig einsam sind / und wandernd nimmer suchen irgend Ziele?“

So fragt Hugo von Hofmannsthal in seiner Ballade des äußeren Lebens. Der Gründervater der Salzburger Festspiele fühlt mit seinen Zeilen das Ende seiner Zeit vor. Die noch handwarme Vanitas wird bald in Wahn entflammen, aber unter den Ruinen des Weltbrandes finden sich auch Grundsteine der nie errichteten – und so verschonten Bauten.

In den historischen Festspielhausprojekten spiegeln sich Gesichter verschiedener Zeiten. Einzelne Erwählte durften aus den schönsten Orten Salzburgs wählen und mit ihnen tun, was sie wollten. Vier ausgewählte Entwürfe nie gebauter Festspielhäuser auf den Stadtbergen (Kapuzinerberg und Mönchsberg) und auf Erhebungen (in Hellbrunn und im Mirabellgarten) wurden für das Projekt „Der Traum von einem Feentempel. Künstlerische Interventionen zu nie gebauten Festspielhäusern“ von den Salzburger Festspielen ausgewählt. Mit diesen werden vier künstlerische Projekte – drei davon wurden in einem geladenen Wettbewerb ermittelt – als temporäre Interventionen im öffentlichen Raum umgehen. Sie werden von Mitte Mai 2020 bis Ende Oktober 2020 frei zugänglich sein.

„Es soll ein Magnet für Kunstfreunde der ganzen gebildeten Welt und in seiner Anlage eine Specialität ersten Ranges werden. Und international, wie der Name Mozarts, soll auch die Bedeutung desselben sein.“ Diese Zeilen zitieren die Schrift Das Mozart-Festspielhaus in Salzburg, erschienen 1890 und zeigen den ursprünglichen Entwurf eines 1890 von Fellner & Helmer geplanten Festspielhauses am Mönchsberg. Esther Stockers Dreiteilige Knitterskulptur für den Mönchsberg gießt diese zerknüllten Pläne in Metall.

„Wer diesen Festspielplatz betritt, muss Zeit haben, er muss alles Hasten vergessen und die Gestaltung der Anlage muss ihm dieses Vergessen und Versinken in das Schauen und Hören allein mit aller Gewalt aufzwingen“, sagte der Architekt Hans Poelzig in einer Rede vor der Festspielhaus-Gemeinde. Für sein verschachteltes, dreitausend Personen fassendes, Festspielhaus wurde 1922 der Grundstein gelegt. Es sollte einer jener damaligen bombastischen Bauten werden, die hofften, noch ein ganzes Jahrhudert Zeit zu haben. Ein Haufen von Bögen, ein umgestülptes Kolosseum, ein gewaltiger Bienenstock, der vielleicht nicht zufällig wieder an Hofmannsthals letzte Zeilen erinnert: „Und dennoch sagt der viel, der „Abend“ sagt / ein Wort, daraus Tiefsinn und Trauer rinnt / wie schwerer Honig aus den hohlen Waben.“ Das Architektenteam Maria Flöckner und Hermann Schnöll setzt gemeinsam mit Norbert Mayr eine mit Versatzstücken spielende Intervention, die die Größenordnung des Poelzig-Projekts von 160 Metern Länge erfahrbar machen will.

Adolf Hitler wollte 1942 die Massivität der Festung durch ein Festspielhaus am Kapuzinerberg gegenlagern. Etwas muss in diesen Jahren aber dazwischengekommen sein, denn die Idee überlebte nur bis zu einem Gipsmodell von Architekt Otto Reitter. Werner Feiersinger annektiert dieses Gipsmodell für seine Tafel, 2019–20. Der weiß beschichtete Abguss wird isoliert am Rande eines riesigen weißen Tischs im Buchenwald des Kapuzinerbergs präsentiert. Feiersinger will damit eine „maximale Künstlichkeit erreichen“, die scheinbar auch praktische Qualitäten birgt: „Man kann da drauf sitzen“, erklärt der Künstler.

Wünscht man „einen fast unmessbar großen Bühnenraum, so öffnet man die drei Portale der Hinterbühne und betritt eine Theaterfläche – wie sie nur die Medici in den Boboligärten zu Florenz besessen haben!“, schreibt Joseph Gregor über Clemens Holzmeisters Festspielhaus Projekt im Mirabellgarten. Isa Rosenberger greift dies auf mit ihrem Portalrahmen für den Mirabellgarten. Der dreiteilige, goldlackierte Portalrahmen abstrahiert die Dimension der geplanten Hinterbühnen-Portale. Die 1950/51 geplante Anlage sollte mit ihrer Umgebung kontrastieren: Das habe, meint Helga Rabl-Stadler, inmitten der Ruinen der damals zerbombten Stadt ein Stück heile Welt gezeigt.

Bilder: Salzburger Festspiele / Esther Stocker; Architekturmuseum der TU Berlin in der Universitätsbibliothek;
Joseph Gregor