Feierabendleute und eine Selbstzerstörung

HINTERGRUND / FESTSPIELE / ZDENĚK ADAMEC

31/07/20 Tiefe Verzweiflung neben purer Freude – trotz der düsteren Grundstimmung, der Wut, der Verzweiflung und der fühlbaren Einsamkeit sei da genauso eine lebendige Freude zu spüren. „In Peter Handkes Texten lauert stets der Schalk“, sagt Friederike Heller. Die Regisseurin hebt am Sonntag (2.8.) Peter Handkes Zdeněk Adamec aus der Taufe.

Von Anne Zeuner

Anderthalbjahre des „In-den-Text-hinein-Horchens“ lagen hinter der Regisseurin, ehe Anfang Juni doch die Proben in Salzburg begannen. Oftmals, so Bettina Hering, die Leiterin des Schauspiels der Salzburger Festspiele, habe sie sich fast schämen müssen für ihr Lachen während des Lesens. „Ja“, bestätigt die Regisseurin Friederike Heller, „aber oft hält man die Stellen ohne Humor gar nicht aus. Es gehen beide Lesarten. Die vielfältige Tonalität spielt bei diesem Text eine wesentliche Rolle.“

„Weiträumige Szene, mit Öffnungen nach allen Seiten, dicht bevölkert mit Feierabendleuten. Kommen und Gehen, hin und her, kreuz und quer, da und dort auch ein Zusammenstehen, ein kurzes, ein Austausch von stummen Zeichen. […] Zeit: jetzt oder sonstwann. […] Wie viele von uns sind auf der Szene geblieben? Fünf, sechs, sieben, acht, so viele, wie das Spiel, das unsrige, nötig haben wird. Mehr Männer, mehr Frauen? Was ihr wollt – jedenfalls nicht nur ein einziges Geschlecht.“ – So beginnt Peter Handke seinen als „Szene“ bezeichneten Theatertext. Diese Regieanweisung, so sagt die Regisseurin, führe direkt ins Herz von Handkes Schaffen. Der offene Raum stehe als Synonym für die Möglichkeiten auf der Bühne. „Wir haben uns relativ schnell festgelegt, dass wir sieben Spieler auf der Bühne haben möchten“, sagt Friederike Heller. „Aus verschiedenen Generationen und mit verschiedenen Herkünften.“ Es sei eine diverse Gruppe aus allen Himmelsrichtungen zusammengekommen, was dem Text hoffentlich helfe, seinen Reichtum aufzufalten.

Die Uraufführungs-Inszenierung von Zdeněk Adamec ist nicht Friederike Hellers erste Begegnung mit Handkes Werk. 2004 inszenierte sie im Akademietheater Untertagblues, 2007 folgte im selben Theater Spuren der Verirrten und 2006 Die Unvernünftigen sterben aus bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des Young Directors Project. „Für mich war das ein Geschenk“, sagt die Regisseurin. Als sie Untertagblues inszenierte, sei sie erst 29 Jahre alt gewesen. „Ich habe Handkes Werke sowohl privat als auch im Studium stets geschätzt. Am meisten ist mir Wunschloses Unglück eingefahren, es hat mich tief bewegt.“ Bei Handke sei jeder Text ein Abenteuer und man entdecke immer neue Wendungen und Überraschungen. Fragen gingen auf wie Türen und führten in einen Reichtum der gedanklichen Welt. „Das zieht mich an und lässt mich frei fühlen“, sagt die Regisseurin.

Die erste Probe in Salzburg sei ein absoluter Intensitätskick gewesen, sagt Friederike Heller. Nach drei Monaten der Corona-Isolation habe sie eine flirrende und besonders aufregende erste Probe erlebt. „Um ein Bild zu zeichnen: Es standen sieben Pferde Hufe scharrend bereit, im Galopp auf die Rennbahn zu gehen“, sagt sie. Auf der anderen Seite war da eine sehr große Vorsicht.

Zdeněk Adamec kommt als Figur nicht vor. Eine Gruppe von Menschen findet sich zusammen, um über ihn und seine Tat zu sprechen. Es sei ein Abtasten, auch die Bewertung seiner Tat werde kontrovers verhandelt. „Ich glaube, dass die wesentliche Frage die nach seiner Motivation ist“, sagt Friederike Heller. „Warum ist jemand so wütend auf die Welt? Was macht einen jungen Menschen so wütend und wieso wird er in seinem Akt nicht wahrgenommen, sondern sogar als Narr dargestellt?“

Der zeitgeschichtliche Hintergrund: Im März 2003 verbrannte sich der damals achtzehnjährige Zdeněk Adamec aus Protest gegen den Zustand der Welt vor den Augen der Öffentlichkeit auf dem Wenzelsplatz in Prag. Nach dem Namen Zdeněk Adamec sucht man übrigens bis heute in Wikipedia beinah vergebens. Er und die fünf anderen jungen Menschen, die sich damals verbrannten, kommen nur als Apendix vor im Lexikonartikel über Jan Palach, der sich im Jänner 1969 an derselben Stelle verbrannt hatte. Er versuchte mit deutlich mehr Echo in der Öffentlichkeit, die Aufmerksamkeit auf den gescheiterten Prager Frühling zu lenken. Zdeněk Adamec bezog sich in einem im Internet veröffentlichten Abschiedsbrief ausdrücklich auf Jan Palach und schrieb in seinem Abschiedsbrief, Demokratie sei nichts weiter als die Herrschaft von Beamten, Geld und Unterdrückern des Volkes.

Uraufführung am 2. August im Landestheater, weitere Vorstellungen am 4., 7., 9., 12., 13., 15. und 16. August – www.salzburgerfestspiele.at
Für Februar 2021 hat das Burgtheater die Premiere des neuen Stücks von Peter Handke angekündigt. Dort wird Frank Castorf Regie führen – www.burgtheater.at
Bild: Salzburger Festspiele / Anne Zeuner (1)