Wortklauben in den Leid-Häuflein der Welt

FESTSPIELE / ZDENĚK ADAMEC

03/08/20 Nicht nur die Letzten (ein solcher war Zdeněk Adamec nicht), auch die Epigonen beißen die Hunde. Und manchmal finden die Hunde es nicht mal der Mühe wert, zuzubeißen, weil zu wenig Fleisch auf den Knochen ist. Einer mit ganz wenig Fleisch war der, den Peter Handke liebevoll beim Vornamen nennt.

Von Reinhard Kriechbaum

Die Festspiele haben Handkes jüngstes Stück über den juvenilen Tschechen, der sich 2003 in Prag selbst verbrannt hat, im Landestheater zur Uraufführung gebracht.

Ein schöner Satz für die Zitatenschatulle: Das Wortklauben, das führt manchmal weiter. Manchmal heißt freilich nicht immer. Mit Wortklaubern haben wir es hier zu tun. Ein „Fest“ ist angesagt, aber das will nicht in Fahrt kommen. Es wird ein Gruppengespräch, oder, besser gesagt, eine riesengroße Wortklauberei. Da denkt also eine Gruppe von Leuten – unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Herkommens – nach über den Selbstmörder Zdeněk Adamec. Dieser ist schon siebzehn Jahre lang tot. Aus der Zeit, aus der Erinnerung gekippt.

Wie so viele, die an der Welt verzweifeln, ist Zdeněk Adamec möglicherweise an sich selbst gescheitert.„Ich bin ein weiteres Opfer des sogenannten demokratischen Systems, in dem nicht Menschen entscheiden, sondern Geld und Macht. Mein ganzes Leben lang wurde ich mit Problemen konfrontiert, die ich wahrscheinlich nicht lösen konnte. Es gab zu viele davon.“ Das schrieb Adamec, dem Handke schon in seinem Prosatext Die Obstdiebin ein kleines Denkmal setzte, in seiner letzten Internet-Botschaft.

Zdeněk Adamec ist dann, so legt Handke einem der Protagonisten in den Mund, „öffentlich für sich allein gestorben“. Wenige nur haben kurz von ihm Notiz genommen, nichts hat er bewegt, niemanden aufgerüttelt. „Nicht einmal einen Film“ gebe es über ihn, heißt es bei Handke. Aber jetzt ein Theaterstück, und weil der Autor ja Nobelpreisträger ist, wird der bisher fehlende Wikipedia-Beitrag über Zdeněk Adamec nicht lange auf sich warten lassen.

Geradeheraus: Handkes zweistündiger Bühnendisput ist höchst mühsam und nur bedingt ergiebig. Dieselbe Geduld, mit der Handke seine Protagonisten die abwesende Hauptfigur und ihr Wesen umkreisen lässt, wird auch vom Publikum verlangt. Freilich: In der Seelenschau auf Zdeněk selig dringt bei allen Monolog-Führern – Regisseurin Friederike Heller hat deren sieben auf die Bühne gestellt – das jeweils eigene Seelenleben heraus. Der Spintisierer hat einen anderen Blick als der notorische Optimist. Der jungen Dame mit imaginärem Wischhandy in der Hand (man traute ihr zu, dass sie im bürgerlichen Leben Buchhalterin ist) ist anderes wichtig als dem jungen Mann, der ein mentaler Enkel eines 68ers sein und damit am ehesten für das Bühnen-Alter-Ego des Dichters stehen könnte.

Diese Blickwinkel sind immer wieder für ein paar Minuten der genaueren Beobachtung und des Bedenkens wert. Ist Zdeněk Adamec aber deswegen schon ein Theaterstück? „Eine Zeit der Hauptsätze und eine Zeit der Nebensätze“, sagt einer – und das ist leider nicht nur dichterische Selbstironie. Es raschelt viel Papier und die Nebensätze wuchern in diesen zwei Stunden. Immer wieder, wenn's gar zu arg wird mit der Monologisiererei (der die jeweils anderen Bühnenfiguren dann herum stehend, auf Hockern lümmelnd oder am Boden kauernd zuhören) wächst die Sehnsucht, diesen Text einfach vom Bühnendasein zu erlösen und zwischen Buchdeckel zu zwängen.

Das Buch und nicht das Theater wäre das dem Text gemäße Medium.

Wenn Stoff dünn wird, dann hilf Löcherstopfen nicht. Aus dieser so konkreten wie schlichten Beobachtung wird hier ein gefühles 15-Minuten-Wortgeklingel, ein übergroßes Solo für Handkes Ehefrau Sophie Semin, deren charmanter französischer Zungenschlag sonst eher eine Bereicherung ist im Ensemble.

Regisseurin, Bühnenbildnerin und Ensemble lassen nichts unversucht, das Beste draus zu machen. Handke gibt ja nur eine Textfläche vor und keine Rollenverteilung. Friederike Heller hat viel Energie aufgewandt, einem Ensemble handverlesen-anschaulicher (wenngleich für Stereotype anfälliger) Charaktere die jeweils passenden Episoden zuzuschreiben. In alphabetischer Reihenfolge: Christian Friedel, Luisa-Céline Gaffron, André Kaczmarczyk, Eva Löbau, Nahuel Pérez Biscayart, Sophie Semin, Hanns Zischler. Jeder Einzelne hat seine Meriten. Das Polyglotte ist der Sache dienlich, weil es verstärkt, was gleich zu Beginn expliziert gesagt wird: Zdeněk Adamec sei keine typisch tschechische Geschichte.

Das Bühnenbild von Sabine Kohlstedt: Ein Metallgestänge mit angedeuteten Gewölbebögen. Da kann sich keine und keiner verstecken. Ulrike Gutbrod hat all die Leute unverdächtig heutig, dem jeweiligen Spleen gemäß eingekleidet. Alles so unaufdringlich wie möglich, auch die kleine Rockband in einer Ecke (Renu Hossain, Michael Mühlhaus, Peter Thiessen).War Zdeněk Adamec wenigstens ein guter Fußballspieler? „Achtung Alleinspieler“, warnt die notorische Faktencheckerin in der Gruppe, „nicht geeignet zum Mitspielen“.

Ja, ein depressionsgefährdeter Einzelgänger hat sich damals selbst ins Jenseits befördert. Von der „Wohltat der Unschärfe“ in der Erinnerung an ihn lässt Handke einen der Protagonisten reden. Sie ist ungefähr sowohltätig wie die Wortklauberei.

Aufführungen bis 16. August im Landestheater – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Zur Hintergrundgeschichte Feierabendleute und eine Selbstzerstörung