Die beiden Türen bleiben eigentlich ungenutzt, weil alle Liebenden kaum anderthalb Schritte hindurch gehen und sogleich auf dem Absatz kehrt machen. Im Türrahmen werden sie einander auf Tuchfühlung nahe kommen, die „richtigen“ und die „falschen“ Paare, und doch wird eine jede, ein jeder auf sich und die Ungewissheit zurückgeworfen sein.
Aber nun mal der Reihe nach: Fürs adaptierte Festspielprogramm hat man Cosi fan tutte ganz neu ins Programm genommen. Das ist nicht überzubewerten: Mehr Vorbereitungszeit wäre auch in der „alten“ Atemlosigkeit des Vor-Corona-Kulturbetriebs höchstens dem Regisseur und dem Bühnenbildner zugestanden worden. Diese neue Festspiel-Cosi ist aber ein Vorzeige-Fall geworden dafür, wie nach der allgemeinen Corona-Bremse eine schon lange in Sachen Mozart so nicht erreichte Ruhe und Konzentriertheit eingekehrt und einer ganz wunderbar stimmigen Aufführung dienstbar gemacht worden ist.
Ja, da ist ein Mozart-Ensemble von höchster Stimmigkeit beisammen. Dass die Frauenstimmen die prägenderen sind, hat unmittelbar mit der Interpretationsabsicht zu tun (und vielleicht auch damit, dass einige Männerarien gestrichen worden sind). Zwar bleibt Don Alfonso der Spielmacher, aber was da seelisch abläuft – das bestimmen Fiordiligi und Dorabella weitgehend selbst. Ist jedenfalls individuell psycho-selbst-bestimmt.
Diese starke Fiordiligi! Elsa Dreisig drängt die Zuhörer mit ihrem gerundeten, aber zu fordernder Eindringlichkeit fähigem Sopran geradezu unentrinnbar hinein in den seelischen Zwiespalt dieser Figur. In ihrer Lesart (die von jener der Dirigentin Joanna Mallwitz nicht zu trennen ist) ist Fiordiligi reflektiert wie nur. Doch in dem im Tempo extrem gebremsten Rondo Per pietá erlebt man aufs Anschaulichste, wie vergeblich das Mühen ist, mit Verstand der Seele beizukommen. Da ist nichts mehr von der Felsen-Standhaftigkeit, die Fiordiligi im ersten Akt in der Arie Come scoglio herausgestellt hat.
Marianne Crebassa als Dorabella steht für die eher von Emotion sich leiten lassende Wesensart – aber es wäre eben nicht Mozart und es wäre nicht die mit wachem Sinn am Pult über sehr feine Zwischentöne wachende Joanna Mallwitz, kämen nicht auch da die Brüche und Zweifel in ihrer Liebesentscheidung heraus.
Und die dritte Frau, Despina? Lea Desandre bringt ein sehr eigenständiges Rollenbild ein, ein überraschendes Maß an Nachdenklichkeit und Zurückhaltung. Diesem Stubenmädchen ist nur zu bewusst, dass sie als Subalterne sich Liebesverwirrungen ähnlich jener der jungen Damen nie wird leisten können. Eine – in aller Leisheit – fast tragische Figur.
Don Alfonso (Johannes Martin Kränzle) hat's hinter sich. Vielleicht gäbe es am ihm zugedachten Rollenbild – nicht Ironiker, nicht Spaßvogel, eher zurückhaltender Besserwisser – einen gewissen Bedarf an Nachschärfung (der einzigen in dieser sonst sich wunderbar rundenden Interpretation). Andrè Schuen und Bogdan Volkov in den Liebhaber-Rollen ist durch die Striche (eine gute halbe Stunde Musik hat dran glauben müssen) da und dort sängerische Entfaltungsmöglichkeit genommen, aber auch ihnen arbeitet Joanna Mallwitz am Pult der Wiener Philharmoniker differenziert zu. Sie trägt die Sängergruppe mit rar gewordener Kapellmeister-Kompetenz auf Händen.
Selten nimmt man die Tempo-Dramaturgie der Cosi-Partitur so genau wahr, und noch nie habe ich eine Aufführung erlebt, in der die vielen Generalpausen mit solcher Akkuratesse geradezu zelebriert wurden. Immer im Dienst der Sache, um Konnotationen im Orchestersatz dann umso ruhiger und eindringlicher hörbar zu machen.
Oper in unmittelbarer Nach-Corona-Enthaltsamkeit. Das heißt auf der Bühne und im Orchestergraben nicht die Spur von Nachlässigkeit oder bloßer Routine. Wo keine Ablenkung ist, kommt für unsere Zeit fast schon tot geglaubtes Ensemble-(Musik-)Theater heraus. Und dazu gehören eben nicht nur Sänger. Auch die Wiener Philharmoniker, die nicht ein Mal Abstriche von „ihrem“ Klang machen müssen, folgen akkurat den rhetorischen Vorgaben der Dirigentin. Moderne „Klangrede“ in Wiener Gesprächskultur. Joanna Mallwitz ist keine Dirigentin, die die Zügel locker lässt. Da ist Bühnenkontakt keine Frage, und auch der Staatsopernchor hinter der Bühne ist so punktgenau wie richtig gewichtet.
Der Raum von Johannes Leiacker: ein weißes Nichts. Stufen führen hinunter in den (seichten) Orchestergraben, nur für die Gartenszene öffnet sich die weiße Wand einen Spalt und gibt die Sicht auf einen Baum frei. Aber die Protagonisten verlassen nie ihr karges, weitläufiges Liebes-Experimentalstudio, das man aber nie als zu groß empfindet.
Regisseur Christoph Loy setzt alle Karten auf ein Kammerspiel und lässt das Große Festspielhaus fast zu einer Studiobühne schrumpfen. Bis ins Kleinste spiegeln die Gesten und Blicke die jeweiligen Stimmungslagen. Und gerade im zweiten Akt lässt Christoph Loy die Handelnden immer wieder erstarren. Wie angewurzelt stehen sie dann da, auf sich zurückgeworfen. Rat-und wortlos schauen sie einander an oder blicken aneinander vorbei. Da nutzt der Regisseur die hohen weißen Türen, deren Rahmen einengen. Ausweglosigkeit, auch wenn die Türflügel weit offen stehen.