„Très chère Wallfrau“

VERTRIEBENE JÜDISCHE FESTSPIEL-KÜNSTLER (1) / MARGARETE WALLMANN

11/08/20 Es wird corona-bedingt kein öffentlicher Akt, wenn am Montag (17.8.) vor dem Haus für Mozart 28 Namenssteine verlegt werden: Zum 100-Jahre-Jubiläum eine Erinnerung an Festspielkünstler, die in der Nazi-Zeit vertrieben wurden oder, wie der Dirigent Arturo Toscanini, Österreich nach dem Anschluss aus politischer Überzeugung Adieu sagten.

Von Gert Kerschbaumer

Der Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer hat Biographien recherchiert, von denen wir in einer Serie einige vorstellen. Als erste die Choreographin und Tänzerin Margarete Wallmann.Max Reinhardt pflegte Margarete Wallmann mit den Worten „très chère Wallfrau“ amikal zu begrüßen. Sie war nicht, wie man bisher annahm, Wiener Herkunft, sondern wurde 1904 in Berlin geboren, als ältere von zwei Töchtern des jüdischen Ehepaares Selma und Paul Wallmann, Lederhändler von Beruf.

Geburt und Herkunft der einst weltberühmten Künstlerin lagen jahrzehntelang im Dunkeln, da Familiäres und Privates in ihrer glamourösen Autobiografie Les balcons du ciel verschwiegen wird: ihr jüdisches Geburtshaus, ihr Religionswechsel, ihre Taufe in der Berliner Pfarre Sankt Ludwig und der Tod ihrer Eltern im KZ Bergen-Belsen. Grundlos war ihr Schweigen allerdings nicht – angesichts der Anfeindungen, denen Künstlerinnen und Künstler jüdischer Herkunft in ihrem antisemitischen Umfeld ausgesetzt waren.

Margarete Wallmann war Tänzerin und Choreografin des modernen Tanzes in Berlin, als sie 1931 auf Empfehlung des Dirigenten Bruno Walter eingeladen wurde, mit ihrem Tanzensemble, dem „Tänzer-Kollektiv“, an Produktionen der Salzburger Festspiele mitzuwirken. Am 15. August 1931 hatte Christoph Willibald Glucks Oper Orfeo ed Euridice unter seiner Leitung Premiere, „ein Meisterstreich“, der namhafte Kritiker in Begeisterung versetzte. Die Choreografie wurde als neuartig und fremd empfunden, fand aber dennoch große Anerkennung: Margarete Wallmann habe die Tanzkunst „auf wundervolle Höhe“ zu heben vermocht, bemerkte der Schriftsteller Emil Ludwig im Feuilleton der Neuen Freien Presse.

Ebenfalls 1931 brachte Margarete Wallmann mit ihrem Tanzensemble Das jüngste Gericht zur Uraufführung, ein „Bewegungsdrama“ oder „Tanz-Mysterien-Spiel“ von Felix Emmel. Sie war Regisseurin, Choreografin und Tanzakteurin („Engel der Gnade“) in einer Person. Kritiker lobten die Darbietung überschwänglich, sahen darin sogar ein Pendant zum Jedermann.

Margarete Wallmanns furiose Kunst der modernen Choreografie blieb bis 1937 hochrangiger Programmpunkt der Salzburger Festspiele. In ihren Annalen sind außer den genannten Produktionen Orfeo ed Euridice und Das jüngste Gericht noch Goethes Faust, Carl Maria von Webers Oberon und Euryanthe, Mozarts Don Giovanni und Le Nozze di Figaro und Verdis Falstaff verzeichnet, unter den Leading teams finden sich so prominente Namen wie Max Reinhardt, Lothar Wallerstein, Arturo Toscanini und Bruno Walter.

Beachtenswert ist ferner, dass Margarete Wallmann zur Ballettchefin der Wiener Staatsoper avancierte und den Vorstand der Wiener Philharmoniker Hugo Burghauser heiratete. Ihre Ziviltrauung während eines Gastspiels in London – Friderike und Stefan Zweig fungierten als Trauzeugen – sorgte in Österreich für mediale Erregung. Die kirchliche Trauung während der Salzburger Festspiele 1934 in der Ruperti-Kapelle des Salzburger Domes blieb hingegen der Öffentlichkeit verborgen, desgleichen die Scheidung im Februar 1939 am Landesgericht Wien. Hugo Burghauser und Margarete Wallmann hatten das nationalsozialistische Wien allerdings schon 1938 auf getrennten Wegen verlassen: er nach Nordamerika und sie nach Südamerika, Buenos Aires.

Margarete Wallmanns Eltern Selma und Paul flüchteten im Jahr 1939 von Berlin nach Amsterdam, wurden aber unter der deutschen Okkupation im Camp Westerbork interniert und am 12. Jänner 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert: Tod des Vaters Paul am 24. Dezember 1944 in Bergen-Belsen und Tod der Mutter Selma nach der Befreiung Bergen-Belsens am 24. Mai 1945 an Haftfolgen (Arolsen Archives).

Margarita Wallmann, mittlerweile argentinische Staatsbürgerin, war über das Befreiungsjahr 1945 hinaus am Teatro Colón engagiert. Schließlich machte sie als Opernregisseurin Karriere in Mailand, Rom, Paris, New York, Monaco, Berlin und – sehr geschätzt von Herbert von Karajan – in Wien. Ihre Inszenierungskunst war außerdem in den Salzburger Festspielsommern 1954, 1955 und 1960 zu bewundern: Salzburger Divertimento (Mozart); La Dance des Morts (Arthur Honegger) und Perséphone (Strawinsky); Mysterium von der Geburt des Herrn (Frank Martin).

Margarete oder Margarita Wallmann hatte ein erfülltes künstlerisches Leben. Sie starb 87-jährig am 1992 in Monaco, dort ist sie auch bestattet. Im öffentlichen Raum ihrer ehemaligen Wirkungsorte Wien und Salzburg existiert ihr Name nicht. (Wird fortgesetzt)

Die Künstlerinnen und Künstler, für die am 17. August Gedenksteine verlegt werden – www.stolpersteine-salzburg.at  
Beim anschließenden Festakt um 18 Uhr sprechen die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler, die Direktorin des jüdischen Museums Danielle Spera, der Historiker Gert Kerschbaumer, der die Biografien der 28 Künstlerinnen und Künstler recherchierte, und der Dirigent Daniel Barenboim.
Bilder: www.stolpersteine-salzburg.at (3); Salzburger Festspiele/Foto Ellinger (1)
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