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Kraft, die aus der Stille kommt

FESTSPIELE / KLANGFORUM WIEN / SCIARRINO

14/08/20 „Nehmen wir die Gefahren um uns zur Kenntnis: Das Leben aller Wesen ist von Glück und Unglück bestimmt“, schreibt Salvatore Sciarrino, „wir können nicht alles aus der Welt schaffen, was uns schadet. Anstatt von Angst sollten wir uns aber lieber von Mut und Solidarität leiten lassen.“

Von Gottfried Franz Kasparek

Salvatore Sciarrino, 74 Jahre alt, hat unter den Ausgangssperren und „chaotischen Erlässen der Behörden“ während der Corona-Pandemie gelitten. In seiner beherzigenswerten Einführung zu seinem neuen, in dieser Zeit entstandenen Stück Agitato cantabile (capriccio sulla lontananza) für Horn solo schreibt er auch über „das innerste Wesen des Gesanges“ und die durch Isolation freigesetzte Kreativität. Der große italienische Einzelgänger der neuen Musik verdichtete seine Emotionen in einer freien Hornphantasie, die aus einer an sich fast fröhlichen, aufsteigenden Melodie Klagerufe entstehen lässt, aber eben auch Signale der Hoffnung. Und fast ein wenig jazzige Töne. Ja, Musik unserer Zeit kann am Puls derselben sein und berühren.

Christoph Walder spielte das Stück am 12. und 13. August im Konzert des Klangforums Wien nicht bloß technisch untadelig, sondern mit hörbarer Innerlichkeit und Engagement von der Empore der Kollegienkirche. Ein Konzertanfang mit einer Uraufführung, welche die Zeit spiegelt und verarbeitet und gleich mitten hinein führt in die faszinierende Klangwelt eines Komponisten und Polyhistors, der sich nicht seriellen oder sonstigen Diktaten unterwirft, sondern seine bezwingende Kraft aus der Stille schöpft.

Mit Introduzione all’oscuro für zwölf Instrumente aus dem Jahr 1981 geht es weiter. Eine „Einleitung ins Dunkle“, welche aus beredter Stille, aus den Geräuschen der Nacht, aus dem menschlichen Atem und dem Pochen des Herzens einen Kreislauf des Lebens entstehen lässt. Dazu kommt der bei Sciarrino immer wieder auftauchende ferne Klang der Melodik, der die Spannung gegen Ende noch verstärkt. Sylvain Cambreling am Pult und das ebenso präzis wie erfühlt musizierende Klangforum sind wahrlich kongeniale Sachwalter dieses „Plädoyers für das hingebungsvolle Lauschen, das in einer immer rücksichtsloser lärmenden Welt so gravierend gefährdet ist“, wie Walter Weidringer es in seiner Einführung goldrichtig formuliert hat. (Dass mein Computer-Rechtschreibprogramm „hingebungsvoll“ rot unterstreicht, ist ebenfalls ein bedenkliches Symptom...)

Dem Bariton Otto Katzameier hat Sciarrino den Vokalzyklus Quaderno di strada. 12 canti e un proverbio für Bariton und Ensemble im Jahr 2000 gewidmet. Ein „Notizbuch der Straße“, zwölf meist kurze Texte von Graffitis bis Rilke und Brecht, ein Kompendium feinster Ausdruckskunst. Katzameier beherrscht den eigenwilligen, oft quasi hüpfenden Parlando-Stil des Komponisten mit Perfektion und Anteilnahme, seine Stimme bleibt dabei immer „schön“ im Sinne des Belcantos. Dramatik wird punktuell nicht ausgespart.

Am Ende steht eine betörend falsettierte Aria auf einen Text aus dem Java des 17. Jahrhundert mit der Conclusio „doch vergiss die Furcht, sieh hier die Seele“. Das augenzwinkernd gemeinte Nachwort ist ein umbrisches Sprichwort aus Todi, „Zwei Dinge kann man auf der Welt nicht erlangen: schön sein und singen können.“ Der Interpret kann es und Maestro Cambreling mit dem Ensemble bereiten ihm einen silbrig und nuancenreich gewebten Teppich aus irisierend suggestiven Motiven und Klangbögen. Ein Erlebnis, als Finale der Festspielreihe „Fragmente-Stille“, vom Publikum im Schachbrettmuster des Kirchenraums jubelnd bedankt.

Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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