Bloß nicht übermütig werden!

FESTSPIELE / LIEDERABEND GOERNE, LISIECKI

19/08/20 Mit Resignation (WoO 149) ging's los, und wenn auch das zweite Lied dieses Programms An die Hoffnung überschrieben war: Der Beethoven-Liederabend von Matthias Goerne war eher etwas für die seelisch Gefestigten im Publikum.

Von Reinhard Kriechbaum

„O Hoffnung, laß, durch dich empor gehoben / Den Dulder ahnen, daß dort oben / Ein Engel seine Tränen zählt!“ Ein Himmelswesen wenigstens, während eine Strophe weiter der Verlassene „trauert, und, von der Mitternacht umschauert / Sich auf versunkne Urnen stützt“. Bloß nicht übermütig werden!

Macht da einer dem Liedsänger Christian Gerhaher Konkurrenz, der geradezu auf's Nachtschattige abonniert ist? Goerne und der junge kanadische Pianist Jan Lisiecki haben das Programm ihrer bei DGG erschienenen Beethoven-CD am Dienstag (18.8.) im Haus für Mozart hören lassen. Besagten Text An die Hoffnung – der Autor ist ein gewisser Christoph August Tiedge, evangelische Trantüte aus Dresden – hat Beethoven im Abstand von zehn Jahren gleich zwei Mal vertont, 1805 und 1815. Goerne fand im früheren Lied schon genug Anhaltspunkte, um zu vermitteln, wie dünn gewoben Hoffnungsfäden sein können. Im späteren Lied, mit mehr Textstrophen, ging Beethoven ans Eingemachte: „Ob ein Gott sei? Ob er einst erfülle / Was die Sehnsucht weinend sich verspricht?“ Das hat Beethoven zu einer vielgestaltigen, fast theatralischen Szene in abgründigstem Grau gestaltet. Dafür ist Matthias Goernes Stimme, deren Timbre ohnehin ein gewisser Bodennebel eignet, genau der richtige Mann. Den abschließenden, fast erstickten Ruf „O Hoffnung“ setzt Goerne so an, dass einem das Wort Optimismus als Allerletztes dazu einfiele.

Unmittelbar vorher die geistlichen Gellert-Lieder op.48, die ja auch für so recht galliges protestantisches Sinnen stehen: Wie hätte man da bayerisch-süddeutsche Froh-Frömmigkeit herbei gesehnt, aber die ist bei Beethoven nicht zu haben. Maigesang, Der Liebende – bestenfalls partielle Stimmungsaufheller. Selbst in Adelaide wächst ja die letzten Blume an die Geliebte auch aus dem Grabhügel. Die Lied-Anthologie Goernes mündete im Zyklus An die ferne Geliebte op.98.

Leider gab's für diesen Liederabend bloß einen Folder, kein Programmheft mit Liedtexten. Das war nicht zu Goernes Vorteil, denn sein grüblerischer Zugang zu diesen im Einzelnen doch weniger populären Gesängen setzt das Mitlesen des Textes eigentlich voraus. Mit Verlaub: Was Textverständlichkeit angeht, ist Goerne ganz weit weg von jenen Kollegen, die derzeit Maßstäbe für den Liedgesang vorgeben.

Dass man nach Konzertende doch nicht gleich die Nummer des psychiatrischen Notdienstes gewählt hat, ist dem Kanadier Jan Lisiecki zuzuschreiben, der leicht und duftig phrasierte, wo Goerne ganz tief in die Seelentrübnis tauchte. Eigentlich eine verkehrte Welt: Meist sind es ja die Klavierbegleiter, die für schattierende Subtexte sorgen.

Die CD mit gleichem Programm ist bei DGG erschienen.
Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli