Ein Vulkan und ein Stilist

FESTSPIELE / CAPUÇON, ARGERICH

21/08/20 Martha Argerich und Renaud Capuçon: Das ist ein wirklich spannendes Duo. Altersmäßig liegen die beiden beinah zwei Generationen auseinander, es könnten also völlig verschiedene, querständische Musik-Welten aufeinanderprallen. Aber beide sind Vollblut-Kammermusiker.

Von Reinhard Kriechbaum

Wenn die Argerich, im Wortsinn „mit Links“, im Eröffnungssatz von Beethovens Sonate für Klavier und Violine Nr. 8 G-Dur op.30/3 die rollenden Bässe wie kleine Blitze herausstechen lässt, dann möchte man es ja gar nicht glauben: Die Dame ist 79 Jahre alt. Daneben also der Geiger Renaud Capuçon. Mit seinen 44 Jahren könnte er der Enkel der Argerich sein, das ginge sich knapp aus. In Beethovens Sonate lässt er sich von der Klavierpartnerin eher hineinziehen. Das liegt auch im Wesen dieser Gattung, man sprach damals noch von Klaviersonaten mit Violine.

Aber es war eben nicht so, dass Martha Argerich den Enkel wie eine gütige Großmutter zum Spazierengehen an der Hand führte: Wie man längst weiß, flackert in Martha Argerich immer noch schier mädchenhafte Energie auf. Diese Wirkkräfte rissen den bei Beethoven mit klar-seidenfeinem Ton zu Werke gehenden Geiger sichtlich mit. Schwerelos fügte sich im Variationensatz eins ans andere. Und das abschließende Tempo vivace war von beiden lebefrisch „auf den Punkt“ gebracht.

Von ganz anderer Wesensart ist César Francks Gassenhauer schlechthin, seine Sonate in A-Dur: Da ist der Geiger zuerst angefragt. Renaud Capuçon ist ein Stilist ersten Ranges, er formuliert die Themen so offen wie nur möglich, was wiederum Martha Argerich Anknüpfungsmöglichkeiten sonder Zahl ermöglichte: Extrem zurückhaltend und nachdenklich wirkte der langsame Satz und insgesamt war diese Wiedergabe ganz weit weg vom Schmachtfetzen-Image, der diesem Werk durchaus eignet. (Und a propos Kitsch, davon war auch die Kreisler-Zugabe ganz weit weg.)

Dazwischen Sergej Prokofjews durchwachsene Zweite Sonate D-Dur opl. 94a: durchwachsen, weil die Motorik ebenso ausgespielt sein will wie die melodiösen Angebote „eingefangen“, und beides ist in diesen vier Sätzen ja ja ganz und gar nicht geradlinig zu haben. Ein Vulkan am Klavier, ein Stilist an der Geige, das war hier das Rezept. Ein detailgenaues, reflektiertes Musizieren, aber eben auch eruptive Kraft. Schon nach dem Scherzo gab's mühsam zurückgehaltene Bravo-Rufe, und neben dem Rezensenten murmelte eine Besucherin: „Wahnsinn“. Da sind Botschaften unmittelbar angekommen.

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Bilder: dpk-krie