Ein wildes Tier ist so ein Klavier

FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT SCHIFF

24/08/20 Ein schwarzer Porsche? Ein roter Lamborghini? Ein Bösendorfer. Ein rot-schwarz geflammtes Prunkstück. Kein gutes Tier ist soo ein Klavier. Eher schon ein Tiger oder Panther. Sorge will aufkommen um den Pianisten. Sir András Schiff bändigt das exaltierte Instrument im Haus für Mozart und betört mit Schubert und Janáček.

Von Heidemarie Klabacher

Erstaunlich der Kontrast zwischen diesem extrovertierten Flügel und dem ganz und gar introvertierten Klang, den András Schiff dem eröffnenden Allegretto c-Moll D 915 von Franz Schubert gönnt. Die verschattete Wiedergabe wirkt nicht emotionslos. Eher scheint eine dünne Eisschicht die Emotionen einzuebnen. Spannend. Gespannt wartet man auf mehr.

Mit dem ersten Teil von Leoš Janáčeks autobiografisch grundierten Miniaturen Auf verwachsenem Pfade führte András Schiff schon deutlich tiefer in musikalische und emotionale Unabwägbarkeiten, ließ da und dort auch schon die Qualitäten des Klavier-Tigers erahnen. Janáček erinnert (sich) Auf verwachsenem Pfade an seine im Alter von zwanzig Jahren verstorbene Tochter und an gemeinsame Wanderungen. Etwa im vierten Stück an einen Pilgergang zum Gnadenbild der Frydecker Mutter Gottes. Dennoch erzählen diese Stücke nichts Folkloristisches aus Böhmens Hain und Flur, sondern von Trauer zwischen Wehmut und Todesangst. András Schiff ließ die Erinnerung an Unsere Abende mit quasi gefasster Rührung vorüberziehen oder Ein verwehtes Blatt ohne die Wahnvorstellungen eines Schubert'schen Winterreisenden zu Boden sinken. Dagegen versah der Pianist die Nummer 8 So namenlos bang mit allen Facetten einer psychischen Extremsituation. Subtil – und damit immer wieder neu erschreckend – gestaltete András Schiff die subtilen Übergänge zwischen vertrauensvollem Choral und dem vernehmlichen Flügelschlag des Todesboten im Stück Das Käuzchen ist nicht fortgeflogen!

Wieder ohne Applaus-Atempause führte Sir András sein atem- und hustenlos lauschendes Publikum danach in die Glanzwelten und Abseiten von Schuberts Sonate für Klavier G-Dur D 894. Diese Wiedergabe der Fantasie-Sonate war ein einziges Kulminieren purer musikalischer Energie. Hier erst ließ Schiff den lauernden Klavier-Tiger aus dem Käfig. Die tiefen Lagen von gehaltvoller Intensität, die hohen von schimmerndem Glanz, die Mittellage von weicher Gesanglichkeit, der Gesamtsound immer geschmeidig – bist auf einige wenige Prankenhiebe. Das In- und Nebeneinander von Dramatik und Delikatesse, dramatischen Stimmungswechsel innerhalb der Sätze, zwischen scheinbar geruhsam aufgefädelten Klangperlen und kraftvoll aus der Glut geschlagenen Akkorden, samt eleganter Kehrtwendung zum jeweiligen thematischen Ausgangspunkt: All das ließ Andràs Schiff jedes Mal wie aus dem Nichts sich ereignen. Die rondo-mäßig wiederkehrenden Passagen, sei es im Andante oder im Allegretto ließ Schiff in immer wieder neu geschliffenen Facetten erklingen, die nächste immer noch brillanter als die vorangehende. Die virtuose und zugleich musikantische Brillanz des Allegretto ließ den Atem anhalten. Und dann jubeln. Ein Erlebnis.

Ein „Zugabenblock“ mit Schuberts Ungarischer Melodie, einem virtuosen Rondo von Béla Bartók, dem ersten Satz von Mozarts „facile“ Sonate KV 545 und Schumanns Fröhlichem Landmann war der delikate Kehraus. Nicht gerne ging das Publikum heim. Sir András hätte gerne noch mehrere Konzerthälften lang die Wunschkonzertliste auf und ab spielen können.

Bilder: SF / Marco Borelli
András Schiff gibt heute Montag (24.8.) einen Meisterkurs an der Universität Mozarteum -
Meisterkurs Sir András Schiff
Bei den Musiktagen Mondsee gastiert Sir Andás am 5. September in zwei Konzerten  - www.musiktage-mondsee.at