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Die volle Dröhnung - aber nicht nur

FESTSPIELE / THE PERCUSSIVE PLANET ENSEMBLE

30/08/20 Wenn heutzutage sogar Almwanderer Kuh-Besitzer vor Gericht zerren, dann ist eine Sammelklage wegen Überdruck auf die Trommelfelle im Konzertsaal womöglich nicht ausgeschlossen. Guter Grund also, dass vor dem Konzert von Martin Grubinger und seinem Persussive Planet Ensemble Ohrenstöpsel angeboten wurden.

Von Reinhard Kriechbaum

Totaler Blödsinn natürlich. Die Militärjets, die dieser Tage erst über Salzburg Übungsflüge gemacht haben, sind objektiv viel, viel lauter. Dafür sind sie schneller weg als das Schlagwerk-Arsenal von Grubinger & Consorten: Da von einem Stück zum anderen umzubauen, das dauert. Im Fall von Wolfgang Rihms Tutuguri VI zu den Pleïades von Iannis Xenakis geschlagene elf Minuten. Aber es sind ja wirklich wahre Klang-Ungeheuer zu bewegen. Die sechs Sixxen (metallene Klangplatten-Instrumente, die der Komponist eigens für dieses Stück hat bauen lassen) imponieren schon, wenn sie herbeigetragen werden. Sie schauen aus wie genmanipulierte Glockenspiele von Marschmusikkapellen (aber werden natürlich waagrecht gelegt). Überhaupt: Dass nach einem solchen Umbau alles am richtigen Platz steht, erreichbar und in der Eile auffindbar für die Spieler, beeindruckt, trotz der Orientierungs-Klebestreifen am Boden. Und dass dann auch alle die richtigen Schlägel griffbereit vor sich liegen haben, spricht auch für den hohen Grad an Selbstorganisation.

Jene, die Ohrenstöpsel verwendet haben, hatten an diesem Freitag Nachmittag (28.8.) im Großen Festspielhaus auf jeden Fall ein Schau-Erlebnis. Die Musik muss man nicht wirklich vorstellen, es waren wohlbekannte neutestamentliche Frohbotschaften direkt aus dem Himmel der Schlagwerk-Götter: Für die 1981 uraufgeführten Tutuguri VI hatte Wolfgang Rihm so etwas wie Strawinsky in Sacre du Printemps im Ohr, außerdem Rituale und kultische Handlungen der Peyotl vor Augen. Das ist ein indigenes Volk in Mexiko. Dies muss man aber nicht wissen und schon gar nicht die Inspirationsquelle des Komponisten kennen: Von dem vierzigminütigen perkussiven Elementarereignis wird man so und so einfach mitgerissen. Da konnten sich Grubinger und seine super-synchrone Gruppe aus perkussiven Urgewaltlern an den großen Trommeln, an Holzbrtettern und Kisten abarbeiten, und dabei haben sie beileibe nicht nur das vierfache Fortissimo umgesetzt, das der Komponist gelegentlich verlangt. Oft verwenden die sechs Schlagzeuger Schlägel mit zwei Köpfen: Ein weicher Fellwuschel entlockt den großen Trommeln ein geheimnisvolles Hallen, das härtere Ende ein trockenes Knallen. Aber um all die Klänge dazwischen zu beschreiben, brauchte man ein Vokabular von ähnlicher Differenziertheit, wie es die Eskimops für den Schnee haben.

A propos Schnee: „The Big Three“ war das Motto. Drei Schlagzeug-Klassiker aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber kein Schnee von gestern. Von Rihm über Xennakis bis Steve Reich waren eben Stücke beisammen, die Meilensteine des Genres markierten. Martin Grubinger hat sich diesmal nicht als Solist ins Schaufenster gestellt, sondern er war vor allem Partner seiner neun Mitstreiter. Und es war ja beileibe nicht immer „die volle Dröhnung“ (© Martin Grubinger) zu erleben, sondern auch ganz viel Feines. Da war gut heraus zu hören, dass von Grubinger entscheidende Impulse kommen. Doch nach diesem kräftezehrenden Programm muss man auch sagen, dass das Besondere des Persussive Planet Ensemble eben die Perfektion und der Klangsinn aller Mitwirkenden ist. Kondition sowieso.

Nach Rihm also die Pleïades von Iannis Xenakis. Da werden in vier Sätzen die Instrumentenfamilien vorgestellt, von der Marimba-Verwandtschaft bis zum fellbespannten Tonwerkzeug. Und wer danach – wieder war eine Umbaupause fällig – schon etwas besorgt auf die Uhr geschaut und vorsorglich auf die Toilette geeilt ist: Drumming, der Bongo-Klassiker von Steve Reich aus dem Jahr 1971, täte zwar eine volle Stunde dauern, aber es wurde nur der erste Teil gespielt, also etwa ein Viertel. Imponierend genug. Wie die acht Spieler die in Reihe aufgestellten Bongos umtänzelten, das hatte was vom Spiel „Reise nach Jerusalem“. Dort ist freilich immer ein Sessel zu wenig, wogegen hier auf wundersame Weise jeder stets ein Ding fand zum pünktlichen Draufschlagen. Show darf schon auch sein am vor-vorletzten Festspieltag.

Nachzuhören im Internet auf ARTE Concert – www.arte.tv
Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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