Eine Fagott-Länge plus zwei, drei Handspannen

FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER

31/08/20 Das letzte Beethoven-Wort bei den Salzburger Festspielen hatte Daniil Trifonov, mit dem Dritten Klavierkonzert c-Moll op. 37. Zwar wirkt die Körperhaltung dieses Pianisten, als ob er sich ganz vergraben wollte, verschanzen vor der Tastenreihe. In Wirklichkeit aber: eine herrlich singende Wiedergabe ganz im Einklang mit den Berliner Philharmonikern.

Von Reinhard Kriechbaum

Klar, da kommt jeder Lauf gestochen und glasklar, wirkt jede Linie präzis gesetzt wie eine Gravour auf einer Kupferstich-Platte. Aber wie auf einer zweiten Ebene lässt Daniil Trifonov das Melos fließen, und wenn einer die Orchesterbegleitung so licht und durchsichtig hält wie Kirill Petrenko, dann ergeben sich plastische und vor allem im Ton amalgamierende Dialoge zu den Solobläsern. Einprägsam jene Episode, in der der Erste Fagottist in einen Dialog treten darf mit dem Solisten an den Tasten.

Kirill Petrenko förderte dieses Klima des Miteinanders in eher kleiner, duftiger Orchesterbesetzung obendrein, indem er im Eröffnungssatz die Vorschrift „con brio“ einfach nicht gar so wörtlich nahm. Das wirkte gelegentlich gar ein wenig betulich, aber es förderte eben so manche Einzelheit zutage, über die man sonst oft großzügig und Moll-üppig hinwegstampft. Das echte Feuer, das Brio eben, hat Trifonov im ersten Satz für die Kadenz aufgehoben, wogegen er die Kadenz im langsamen Satz fast stocken ließ – und das passte gut, weil dieses Largo überhaupt in Richtung Transzendenz ging: gelebte Verinnerlichung. Fast befreiend das Rondo, aber auch hier: Zurückhaltung im Tempo, ein Esprit, der sowohl seitens des Solisten wie der Berliner Philharmoniker leichtfüßig daher kam und sich nie aufdrängte.

Daniil Trifonov war gut beschäftigt an diesem letzten Festspiel-Wochenende, am Freitag hatte er ein Solistenkonzert im Haus für Mozart gestaltet mit einem Programm von Berg, Bartok und Prokofjew bis Ligeti und Stockhausen mit amerikanischen Einsprengseln – Bestätigung, dass der im Vorjahr von einer US-amerikanischen Zeitschrift zum Musiker des Jahres gekürte Pianist derzeit tatsächlich als Idol für fast alles taugt.

Im ersten Konzert der Berliner Philharmoniker gab's nach Schönbergs Verklärter Nacht die Vierte von Brahms. Am frühen Sonntagabend (30.8.) ließ Kirill Petrenko auf das Beethoven-Konzert die Erste Symphonie von Felix Mendelssohn Bartholdy folgen. Die hat im letzten halben Jahrhundert bei den Festspielen bestimmt keiner aufgeführt (vorher wohl auch nicht). Überhaupt spielen eigentlich von Mendelssohn alle immer nur die Italienische, die Schottische und, wenn's feierlicher hergehen soll, die Reformationssymphonie. Also mal die Erste des Fünfzehnjährigen (zwölf Streichersymphonien hatte er da schon hinter sich). Petrenko hat sein Publikum mit der Nase auf so manche satztechnische Auffälligkeiten gestoßen. Immer wieder hat der junge Mendelssohn sich ja an Mozart orientiert, aber er war dann doch mehr Kind seiner Zeit, und da lag schon Schumann in der Luft. Nicht nur im ur-launig aufgefächerten Finalsatz war das recht anschaulich herausgearbeitet und bekömmlich, mit Sinn für den Effekt serviert.

Ach ja: Die Berliner Luft-Luft-Luft scheint Corona-geschwängerter zu sein als der Wiener Musikhimmel. Die deutschen Übervorsichtsregeln gelten auch, wenn ein deutsches Orchester sich ins Ausland auf Reisen macht. Also saßen die Berliner Philharmoniker in gehörigem Abstand zueinander. Vorbei die Zeiten, da zwei Geiger sich ein Notenpult teilten. Und zwischen den Bläsern ist in Berlin jetzt eine Fagott-Länge plus zwei, drei Handspannen (sprich: zwei Meter) gerade recht. Hauptsache die Einsätze sind beisammen.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli