Bericht von einem großen Erfolg

FESTSPIELE / JEDERMANN

26/07/10 Es ist nun wie eine Erlösung. Denn die Spannung war nicht mehr auszuhalten. Die Frage, die das ganze Land in Bann geschlagen hat, war: Wie wird sich das neue  Traumpaar der österreichischen Theaterwelt im Salzburger „Jedermann“ bewähren?

Von Werner Thuswaldner

Dem Applaus nach der Premiere am Sonntag (25.7.) nach zu schließen, hätte der Erfolg nicht größer ausfallen können. Die Reaktion ist nur damit zu erklären, dass das Publikum  zufrieden ist, wenn es mit einem oberflächlichen Spektakel abgespeist wird. Ein Rekord ist diesmal gewiss aufgestellt worden: So viel hohles Pathos, so viel leeres Gebrüll war noch nie auf dem Domplatz zu hören.

Regisseur Christian Stückl doktert am Text Hofmannsthals herum, seit er vor neun Jahren mit dem Inszenieren angefangen hat. Es wird immer ärger. Es kommt an den Tag, dass er mit dem „Jedermann“ unglücklich ist. Deshalb fängt er diesmal mit Goethes „Faust“ an. Und das ist ja auch, zugegeben, das bessere Stück. Der liebe Gott und Mephisto schließen die berühmte Wette ab. Dem Publikum ist es egal, ob Goethe oder Hofmannsthal. Vielleicht macht Stückl aus dem Jedermann noch einen Intellektuellen und setzt ihn in die Studierstube. Niemandem würde etwas auffallen. Passagen aus dem Salzburger Telefonbuch kämen als Texteinschübe auch in Frage.

altDiese „Jedermann“-Premiere holperte dahin, dass es eine Freude war. Vor lauter Textumstellungen, Pausen und Löchern passte nichts zusammen. Es geht ohnehin um ein Mysterium, das wissen die Leute, und ein Mysterium verträgt einiges an Unklarheiten.

Jedermanns Koch spricht englisch. Warum? Ganz einfach: Das ist ein Rest des Originals. Hofmannsthals „Jedermann“ kommt aus England und hieß ursprünglich „Everyman“.

Aber Nikolaus Ofczarek ist doch die ideale Besetzung? Oder etwa nicht? Am besten gelangen ihm in seiner bisherigen Laufbahn die gewaltbereiten Vorstadt-Strizzis. Gewaltbereit ist dieser Jedermann auch. Den Armen Nachbarn nimmt er höchst persönlich in die Mangel und malträtiert ihn aufs Grausamste. Seine Stimmbänder halten einiges aus. Dass beim Brüllen anstelle eines „s“ oder eines „z“ ein scharfes Zischen zu hören ist, nervt. Der reiche Mann hat am Anfang nur eine Socke an. Aber er geht dann einmal unmotiviert ab, lässt den lieben Gott den Anfangsmonolog sprechen und kommt ordentlich angezogen wieder. Um weiter zu spielen.

Unverständlich ist, warum Stückl die Begegnung Jedermanns mit dem Tod schon weit vorverlegt, so dass damit dem spannendsten Moment des Stücks, in dem Jedermann erfährt, dass es aus ist mit ihm, die Schärfe nimmt.

Eine ganze Liste von Ungereimtheiten altließe sich aufzählen. Jedermanns Mutter (Elisabeth Rath) agiert und ist auch hergerichtet wie eine aufgezwirbelte Bordellchefin. Ihr zweiter Auftritt findet nicht statt. Ist auch egal.

Birgit Minichmayr, die Buhlschaft, kommt sinniger Weise aus der Kirche. Das rote Kleid ist wichtig, wenn es auch den Busen grausam hinaufwürgt. Aber das Rot macht die Buhlschaft auffällig. Seltsam dehnt sie die Sätze und hinterlässt insgesamt einen somnambulen Eindruck. Einmal lacht sie dreckig. Was sie mit Jedermann verbindet? Leidenschaft ist es bestimmt nicht. Träg-tranig, wie sie gekommen ist, geht sie wieder in die Kirche zurück.

Die Tischgesellschaft darf nicht mehr so wie früher üblich, mitspielen. Sie besteht nun aus lauter Statisten, die flippig und aufwändig kostümiert, eine verschreckte Horde darstellen. Dicker und Dünner Vetter aber dürfen sich profilieren.

Der Mammon-Auftritt zieht sich, und dann sind auf einmal die Guten Werke da. Kein altes, schwaches Weib auf Krücken, nein, ein ältliches, flinkes  Mädchen. Es kommt zu einem langen obskuren theologischen Diskurs, an dem sich auch der liebe Gott und der Teufel beteiligen. Dafür hat Stückl allerlei Textbruchstücke - einige davon gehörten einmal dem Glauben, der buchstäblich verloren gegangen ist - wild durcheinander gerührt, so dass dieser Unterhaltung der Sinn ausgetrieben worden ist. Aber das ist völlig egal. Peter Jordan ist der Teufel und springt als Zwetschkenkrampus lustig herum. Jedermann stirbt auf der Treppe in den Armen des lieben Gottes.

Wie gesagt, die Premiere war ein großer Erfolg. Ofczarek hat das Zeug zum Publikumsliebling. Stückls Inszenierung war schon einmal weitaus besser.

Aufführungen bis 30. August. - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Hermann und Clärchen Baus
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