Hässlichkeit vergessen, Gräuel verstehen

FESTSPIELERÖFFNUNG / FESTAKT

26/07/10 Es fällt ihnen ja doch Jahr für Jahr etwas ein. Aus den Montagsreden beim Festakt zur Festspieleröffnung, der diesmal im Großen Festspielhaus stattgefunden hat, das auf den Tag vor fünfzig Jahren eröffnet worden ist.

altDie Festrede hat Daniel Barenboim gehalten, der auch Gedanken zum Nahostkonflikt ausbreitete. Barenboim zitierte dazu einerseits einen Satz von Richard von Weizsäcker – "Es hilft unendlich viel zum Frieden, nicht auf den anderen zu warten, bis er kommt, sondern auf ihn zuzugehen" – und verwies andererseits auf eine "Einsicht", die ihm die Musik vermittelt habe und die man auch auf das Leben anwenden könne, nämlich "dass das zeitweise totale Vereinnahmtwerden durch etwas, das ungeheuer schön oder absolut unentbehrlich zu sein scheint, einem im nächsten Augenblick schon übertrieben oder sogar verkehrt vorkommen" könne.

Was die Musik lehrt, könne auch auf den politischen Bereich angewandt werden, so der Festredner: "Verzicht von Israels Seite aus auf das, was im Augenblick unentbehrlich zu sein scheint, wird am Ende zu seiner eigenen Rettung beitragen. Die Alternative ist überhaupt keine; es gibt keine andere Lösung, wenn der Staat Israel eine Zukunft haben will und wenn die Palästinenser irgendwann in den Besitz ihrer Grundrechte gelangen sollen." Im Lauf seiner gesamten Geschichte sei das jüdische Volk wegen seiner hohen Moral, seines Gerechtigkeitsempfindens und seiner Intelligenz sowohl bewundert, als auch verachtet worden. Jetzt sei es an der Zeit, diese Eigenschaften wieder zu entdecken, sich um eine universelle Moral zu bemühen. "Frieden ist teuer. Doch keinen Frieden zu haben, kommt noch teurer und führt in vielerlei Beziehung zu großer sinnloser Vergeudung. Bis beide Parteien das erkannt haben, werden sie den unvergleichlich höheren Preis des Kriegs zahlen – unvergleichlich höher, weil sie ihn in einer Währung, die völlig unakzeptabel ist, zahlen: in Menschenleben", sagte Barenboim.

Die Festrede enthielt auch sehr persönliche Erinnerungen des Pianisten und Dirigenten an seinen ersten Besuch in Salzburg als Neunjähriger. Salzburg sei der Ort, "an dem mein Bewusstsein für die Geschichte des jüdischen Volks in Europa erwachte". Barenboim weiter: "Es öffnete mir nämlich die Augen für das Paradox, dass Musik uns sowohl die Möglichkeit bietet, die Hässlichkeit der Welt zu vergessen, als auch die Fähigkeit verleiht, die Welt und ihre Gräuel zu verstehen und zu transzendieren. Mit anderen Worten: Musik ist alles andere als ein Elfenbeinturm."

LH Gabi Burgstaller vermutete in ihrer Rede: "Vielleicht ist die Tatsache, dass die Festspiele nicht aus dem Geist des Überflusses und der Lust auf Unterhaltung entstanden sind, sondern aus der wirtschaftlichen und kulturellen Not, eine besondere Bestandsgarantie." Die identitätsstiftende Idee der Festspiele sei vorerst an der Katastrophe des Nationalsozialismus gescheitert: "Xenophobie, Antisemitismus und politische Verfolgung zerstörten den kosmopolitischen Überbau der Festspiele, völkische Kunst und Propaganda waren angesagt. … Im Sommer 1945, drei Monate nach Kriegsende, fanden die Festspiele wieder statt. Wie ein Vierteljahrhundert zuvor wurden sie zu einem unübersehbaren Zeichen der Hoffnung."

Kulturministerin Claudia Schmied sieht in der Finanzkrise auch eine Krise der Kultur und unserer Werte. "Wir haben es zugelassen, dass die Logik eines Teilsystems zusehends das Ganze dominiert hat. Die sogenannte Realwirtschaft, die Welt der Unternehmen und der in ihr Beschäftigten, ist dadurch zu Schaden gekommen." Jetzt gehe es "um einen radikalen Paradigmenwechsel hin zu einer Kultur der gesellschaftlichen Verantwortung. Es ist Zeit von den Kunst- und Kulturschaffenden zu lernen. Achten wir auf den sensiblen und den radikalen Blick der Künstler und Künstlerinnen. Schärfen wir - ohne Rücksicht - unsere Wahrnehmung und leben wir eine Kultur der Verantwortung."

Gleichzeitig, so die Kultur- und Unterrichtsministerin, sei eine Renaissance der öffentlichen Verantwortung zu erleben. Die Rolle des Staates werde neu geschrieben, das "klare Bekenntnis zur Verantwortung des Staates in der Kunstfinanzierung in Österreich gerade jetzt so entscheidend."

Bundespräsident Heinz Fischer erinnerte daran, dass der Beschluss der neuen demokratischen österreichischen Bundesverfassung ziemlich zeitgleich mit der ersten Jedermann-Aufführung erfolgte. "Beide sind in ihren jeweiligen Bereichen zentrale Säulen des staatlichen bzw. kulturellen Selbstverständnisses unseres Landes. War Hans Kelsen, dem maßgeblichen Gestalter unserer Verfassung, mit diesem Gesetzeswerk ein bis heute in seinen elementaren Teilen gültiger Wurf gelungen, so wurde mit den vom Dreigestirn Hofmannsthal, Strauss, Reinhardt initiierten Festspielen das bis heute wichtigste Musik- und Theaterfestival nicht nur in Österreich, sondern weit darüber hinaus geschaffen."

Im Gegensatz zur fatalistischen Sichtweise des diesjährigen Festspielmottos - "Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie" - würden "Gesetze von Menschen gemacht und können auch von Menschen geändert" werden, so Bundespräsident Fischer: "Denn der Vorstellung, dass der Einzelne in der modernen Gesellschaft, in der modernen Demokratie nichts bewirken kann, möchte ich mit Nachdruck entgegentreten." In einer Demokratie habe "nicht ein Einzelner das entscheidende Wort, sondern eine Summe von Einzelnen. Und dabei zählt jede einzelne Stimme in gleicher Weise und es sind verschiedene Optionen denkbar." Und wie viele Schwächen und Reibungsverluste dieses System auch haben möge, es sei von der Konstruktion, vom Ansatz her – aber auch von den praktischen Ergebnissen her - besser als alle anderen Systeme der Machtausübung. (LK)

Bild: LPB/Neumayr
Die Rede von Daniel Barenboim im Wortlaut