Blicke mir nicht in die Lieder!

FESTSPIELE / PHILHARMONIKER / THIELEMANN

02/08/21 „Bienen, wenn sie Zellen bauen / lassen auch nicht zu sich schauen“ heißt es so schön im vierten der Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert. Aber ein wenig lauschen darf man wenigstens dem symphonischen Bienenfleiß des Gustav Mahler. Und Bruckner war, so monumental seine Symphonien daherkommen mögen, auch nicht gerade faul, was Wabenstrukturen anlangt...

Von Reinhard Kriechbaum

Christian Thielemann am Sonntag (1.8.) zu später Stunde im Großen Festspielhaus am Pult der Wiener Philharmoniker: Da war man quasi mittendrin im Mahler'schen Bienenstock, war man eingeladen zum sehr bewussten Wahrnehmen des orchestralen Filigrans. Die Rückert-Lieder, von Ich atmet' einen linden Duft bis zu Ich bin der Welt abhanden gekommen, zeichnen sich sowieso durch eine höchst luzide Instrumentation aus. Sie sind gleich weit weg vom Plakativen der Wunderhorn-Lyrik wie vom Décadence-Schwulst des Lieds von der Erde. Thielemann, hier ganz Kapellmeister der alten Schule, lässt die Bläser noch deutlich aufmerksamer artikulieren. Er lässt dort, wo beispielsweise Bratschen oder andere Streicher-Gruppen jeweils alleine gefordert sind, Volumen wegnehmen. Die Philharmoniker waren da ganz akkurat bei der Sache. Ein pures Vergnügen muss es sein, dazu zu singen.

Das tat Elīna Garanča, der man gewiss nicht erst erklären muss, dass in Rückerts feiner Lyrik jedes Zuviel zu vermeiden ist. Die Mezzosopranistin hat für dieses Repertoire das rechte samtene Mezzoforte drauf, ein ruhiges Fließen ohne jedes Forcieren, dabei vorbildhaft textdeutlich. Kann man mehr wollen? Oh ja. Der Grat vom noblen Sich-zurück-Nehmen zum gestalterisch Unterbelichteten ist nur ein schmaler. „Liebst Du um Liebe, o ja, mich liebe!“ – nicht nur dieser emotionale Zielpunkt im Lied Liebst Du um Schönheit hat pingelig ausgesteuert, beinah auf CD-Hochglanz getrimmt gewirkt. Alles ein klein wenig distanziert, ein klein wenig unter der bekömmlichen Temperatur gehalten. Blicke mir nicht in die Lieder, vielleicht gar zu wörtlich genommen.

Bruckners Siebente dann. Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit sind nicht nur im Naturschutz geflügelte Worte. Auch Bruckners symphonische Biotope profitieren ungemein, wenn man nicht verschwenderisch umgeht mit dem süffigen Klang, sondern überlegt haushält. Wie oft hat Thielemann mit beschwörenden Gesten die Lautstärke gedrosselt, die Streicher Einsatz und Einsatz auf Zurückhaltung eingeschworen, auf dass die Holzbläser-Themen umso sanfter, wie in frischem leichten Luftzug wachsen konnten. Da war nicht nur im ersten Satz (dort aber ganz besonders) ein tonlich durchaus vertrauter, philharmonisch-wienerisch veredelter Klang zu vernehmen, aber wie frisch durchlüftet. Vertikulieren nennt man das in der Rasenpflege. Ob sich derzeit ein anderer Dirigent (und ein anderes Orchester) so gediegen drauf versteht, den Klang der Wagner-Tuben jenem der Holzbläser so vollendet bei- und unterzumengen?

Zweiter Termin am 3. August – Übertragungen am 6. August, 19.30 Uhr auf ARTE Concert und am 15. August um 10.50 Uhr in ORF2 – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli