Walzer drehen am Abgrund

FESTSPIELE / KOPATCHINSKAJA & FRIENDS

13/08/21 Grad' dass die Kronleuchter nicht mittanzen. Aber auch sie wissen, dass Kaiser- und andere Walzer eine „gute alte Zeit“ beschwören, die es nie gegeben hat. Ein goldenes Zeitalter, wie es nur konstruiert wurde/wird, wenn die jeweilige Gegenwart nicht mehr erträglich ist. – Patricia Kopatchinskaja & Friends mit Pierrot lunaire und Strauß-Walzern in Bearbeitungen von Schönberg und Berg.

Von Heidemarie Klabacher

Seine Lesart des Kaiserwalzers hat Arnold Schönberg als Zugabenstück geschrieben, anlässlich einer Aufführung von Pierrot lunaire in Barcelona. Der Schönberg-Strauß'sche Kaiserwalzer in der Pierrot-Besetzung mit hinein geschwindelten Zitaten aus der Kaiserhymne gehört zum Fiesesten und Großartigsten nicht nur der Zweiten Wiener Schule. (Höchstens Schostakowitsch ist da und dort perfid „politischer“.) Das Klischees und Verklärung entlarvende Meisterstück verführt bis heute zum Schunkeln und zum Verzweifeln gleichzeitig. Besonders, wenn eine Wiedergabe so heimtückisch heimelig, walzerselig, bockig und melancholisch zugleich daherkommt, wie die Lesart von Patricia Kopatchinskaja. Die Geigerin schrammelte mit ihren Freunden Júlia Gállego Flöte/Piccolo, Iris Zerdoud Klarinette/Bassklarinette, Joonas Ahonen Klavier, Meesun Hong Coleman Violine/Viola, Thomas Kaufmann Violoncello, Patriza Messana Viola, und Johannes Kaufmann Cello als ob sie vom weiland „Gschwandtner“ und nicht von der Festspielleitung engagiert worden wären.

Frech trällern alle zusammen und lachen einem Publikum – dieses durchaus geneigt zum Mitträllern – frech ins Gesicht. Lassen es stehen am Abgrund einer Generalpause. Zahlendes Publikum sollte sich veräppelt fühlen. Die Zitate aus der Kaiserhymne und besonders die von fern herüberklingende Wiederholung des Themas rühren zu Tränen – die natürlich genau so falsch sind, wie Ernst Marikschas Sissy-Filme. Weltkrieg I lässt grüßen.

Der Schatzwalzer in der Bearbeitung von Anton Webern war in der Wiedergabe von Kopatchinskaja & Friends volkstümlicher, ein wenig derber, nicht ganz so entlarvend – aber nicht weniger bildhaft und virtuos hingedreht. Der Walzer für das gemeine Volk im Prater, das wohl schunkeln, aber kaum frei atmen durfte zu Lebzeiten des Schöpfers der Originalkomposition. Und das zielstrebig auf Nationalismus, Nazismus und – letztlich – Weltkrieg II hinsteuerte zu Lebzeiten des Bearbeiters.

Eröffnet wurde das Konzert am Donnerstag (12.8.) im Großen Saal des Mozarteums mit einem Amuse-Gueule auf Haubenniveau, dem Presto c-Moll Wq114/3 von Carl Philip Emanuel Bach in einer Bearbeitung von Patricia Kopatchinskaja, eine Art Pizzicato-Galopp im Pianissimo, der wundersam zu den Walzern gepasst hat. Man hat sich auf die Zugabe einer solchen Miniatur oder, noch besser, eines weiteren Walzers gefreut. Ist aber nichts gekommen.

So endete das Konzert mit der eigentlichen Hauptsache, Schönbergs Pierrot lunaire, die musikantisch natürlich mitreißend – klangvoll, differentziert, rhythmisch pointiert – daher gekommen ist, aber komplett des Textes entbehrte. Patricia Kopatchinskaja gab als Rezitatorin einen liebenswürdigen Pierrot im netten Kostüm (weiß geschminkt sogar, heldenhaft angesichts der Hitze) mit ein paar netten Requisiten. Etwa der „dürren Dirne“ aus dem Galgenlied. Hübsche szenische und lichttechnische Effekte (Mond auf die Orgel projiziert oder Mondfleck auf den Mantel genäht) sind immer gut gemeint und bleiben immer simple Verdoppelung. Die Sprecherin Kopatchinskaja hat aber vor allem Sound geliefert, ein wenig sopranig-piepsig gekreischt. Vom Text ist so gut wie nichts angekommen. Was Pierrot lunaire natürlich ad absurdum führt. Macht aber fast gar nix. Die Walzer, mit der Geigerin Kopatchinskaja als Stimmführerin, bleiben in Erinnerung.

Bilder: SF / Marco Borrelli