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Der Kasten, das Bett, die Psyche

YOUNG DIRECTOR'S PROJECT / INNENSCHAU

28/07/10 Dem Kasten im Schlafzimmer ist absolut nicht zu trauen. Da kann schon mal ein Mann herauskommen mit Zahnbürste im Mund. In der letzten Szene werden es gleich sieben Zähneputzer sein, die auf diese Weise auftauchen und trotzdem im Kasten auch noch ihre Hemden und Anzüge vorfinden: Schlafzimmerschrank reloaded!

Von Reinhard Kriechbaum

Aber zu diesem Zeitpunkt wundert einen schon gar nichts mehr, man hat schließlich schon anderthalb Stunden Bühnenmagie hinter sich. Da vergnügt sich eine junge Frau im Bett, als ob sie zu zweit wäre. Ist sie aber nicht. Ein Mann taucht auf (schon wieder war der Kleiderkasten mit im Spiel), er hebt die Decke hoch - aber da ist die Frau weg. Schon kommen zwei Herren im grauen Anzug (aus dem Kasten, es ist ein running gag), Detektive wohl. Sie finden das Kleid der Dame im eben noch ganz leeren Bett.

Der Schwede Jakop Ahlbom, der in den Niederlanden als freier Theatermann mit seinen sparten-grenzgängerischen Produktionen hoch gerühmt wird, eröffnete heuer das Young Director's Project der Salzburger Festspiele. "Innenschau" heißt das hinterlistige, hintersinnige Rätselspiel, das uns zuerst einmal vorführt, wovon Kriminalbeamte ein Lied singen können: Auf Augenzeugen ist nicht der geringste Verlass. Es mangelt an Beobachtungsschärfe und schon nach kürzester Zeit sind Details kaum mehr zu hinterfragen. Das Theaterpublikum ist wohl nicht besser.

Oberflächlich also ein Kriminalfall, in dem nicht mal herauskommt, welcher von zwei Hauptverdächtigen nun der ominöse Herr Priznan ist. Der Glatzkopf oder große schlacksige Kerl, der immer so gierig dreinschaut? Der eine behauptet, er sei's nicht, der andere schon. Beides muss nicht stimmen. Jedenfalls war eine Dame im Glitzer-Abendkleid im Spiel. Dann ist die Ehefrau des Einen verschwunden und taucht zuletzt als Leiche wieder auf. Nicht im Keller, im Bett ist sie verscharrt worden, wo wir bis dahin eigentlich eine Matratze vermuteten.

Jakop Ahlbom ist auch ausgebildeter Zauberkünstler, er lässt Menschen verschwinden und auftauchen. Die Requisiten, Kasten und ein Tresen fahren in der Gegend herum. Eine Frau macht sich während des Sexualakts davon, der Mann unbeirrt weiter. Da gewinnt die Bettdecke Eigenleben, verwandelt sich in eine riesenhafte Aufblas-Sexpuppe, in die der Mann hineinkriecht (eine Frau wird nachher herauskommen).

Ahlbohm erzählt uns nicht einfach einen Krimi und auch nicht eine Beziehungskiste. Die im Detail ironisch-witzigen Vexierspiele decken Ur-Instinkte und Ur-Ängste auf. Mit Verführung und Getriebensein hat das alles zu tun. Vor allem auch damit, dass Beobachter zwangsweise draußen bleiben und die Wahrnehmung immer bruchstückhaft, nicht mal eine halbe Sache ist. Aus nur leicht geänderter Perspektive betrachtet, werden aus Verführerinnen Opfer, aus draufgängerischen Männern arme Getriebene. Und das in allen denkbaren Varianten. "Innenschau" ist anregend, weil so gar nicht lehrhaft, sondern mit Poesie und sogar Humor vorgeführt wird, wie uns das Unterbewusstsein ein Schnippchen schlägt. Szene um Szene sind wir damit beschäftigt, Sinn und Ordnung in Dingen zu sehen, die vielleicht ganz anders - viel harmloser oder ungleich bösartiger - gemeint sind, als wir sie gerade einstufen.

Eine tolle Artistin macht zirkuswürdige Verrenkungen und steigt wundersam gelenkig aus einer Pappschachtel. Eine Band ist auf der Bühne, produziert Schmuse-Pop und Rock, und dazu wird auch getanzt. Gesprochen wird ganz wenig.

Was noch kommt im Young Director's Project des Salzburger Festspiele, das zum neunten Mal stattfindet und von Montblanc gesponsert wird: Die Pariser Truppe "d'ores et déjà" von Sylvain Creuzevault (Paris) präsentiert ab 4. August "Notre Terreur". Jon Fosses "Tod in Theben" setzt die deutsche Regisseurin Angela Richter um - eine deutschsprachige Erstaufführung, die hier produziert wird (ab 11. August). "Mary Mother of Frankenstein" (ab 19. August) ist eine Produktion von dem Belgier Claude Schmitz (Lüttich). Man setzt beim "Young Director's Project" auf freie Theatergruppen, "denn hier vermuten wir die letzten Refugien eines wirklichen Ensembletheaters", wie es der Schauspielchef der Salzburger Festspiele, Thomas Oberender, formuliert. Der Montblanc Young Directors Award 2010 - 10.000 Euro und ein kostbarer "Max Reinhardt Pen" von Montblanc - wird am 21. August in Salzburg verliehen.

"Innenschau" ist noch am 29., 30. und 31. Juli jeweils um 20 Uhr im republic zu sehen. - www.salzburgerfestspiele.at/schauspiel2010/
Bilder: SF / Arjan Benning
Zum Vorbericht über das Young Director's Project: Es beginnt ohne Worte, aber mit Magie

 

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