Blutige Pferde nerven

FESTSPIELE / KONTINENT RIHM 1

30/07/10 Die erste Exkursion auf den „Kontinent Rihm“ am Donnerstag (29.7.) in der Felsenreitschule führte in weitläufige, doch unergiebige Gegenden: Schmiede des Leerlaufs trommeln auf Blech.

Von Heidemarie Klabacher

Der Aufwand könnte größer nicht sein - und ist vermutlich nur von Festspielen zu finanzieren. Großes Orchester, sechs Schlagzeuger mit schwerem Gerät auf der Bühne. Dazu - für eine Art Schluss-Crescendo - besonders riesige Tam Tams auf den Seitenbalkonen der Felsenreitschule. Ein Chor (wenn auch nur vom Band, so doch umso besser verfügbar) darf nicht fehlen. Der seltsame Text („te kopp, kopp peck, a, a, pock tei pock“ oder so ähnlich) sorgte prompt für erste Lacher im Publikum. Ein „Sprecher“ - Martin Wuttke immerhin, aber dies nur nebenbei - schreit sich irgendwann die Seele aus dem Leib. Dann auch noch Martin Grubinger persönlich samt seinem furiosen „Percussive Planet Ensemble“: Das hätte doch was sein müssen! Das hätte einem so richtig in Bauch und Glieder fahren müssen.

Dennoch blieb Wolfgang Rihms „Tutuguri - Poème dansé“ aus den frühen Achtzigern seltsam „draußen“. Außen vor. Man hörte (auf gut achtzig Minuten ersten Teil und gut vierzig Minuten zweiten Teil) klug gesetzte Musik, manchmal lauter, manchmal leiser. Man hörte - von den grandiosen Schlagzeugerinnen und Schlagzeugern des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin unter der Leitung von Ingo Metzmacher - immer wieder tolle Rhythmen. Einen stampfenden Grundrhythmus etwa, der durch die Instrumentengruppen irrlichtert. Man hörte auch brutales Maschinen-Gestampfe (wie von einer Horde besonders gemeiner Orks in Isengart erzeugt), das vor den Streichern ebenso wenig Halt macht, wie vor den Bläsern. Das Schlagzeug wird ohnehin unbarmherzig in den Dienst genommen.

Gegen Ende des ersten Teils hörte man eine gequälte Kreatur (Wuttke) von den Arkaden herab schreien, als gelte es das Leben. Dass gerade an dieser Stelle viele im Publikum sich das Lachen nur mehr schwer verkneifen konnten, ist so ziemlich das Traurigste, was sich über Rihms Bemühungen (vor gut dreißig Jahren) sagen lässt. Da muss man den fehlenden Zug, das bis zuletzt sich nicht erschließen wollende Ziel der handwerklich hervorragenden Bemühungen des damals Zwanzigjährigen nicht eigens erwähnen.

Von einem indianisch eingefärbten Drogenrausch erzählt das im Hintergrund dräuende Hörspiel: das Gedicht „Tutuguri“ von Antonin Artaud, das Rihm ohnehin explizit NICHT vertonen wollte. Der ebenso geneigte, wie gebildete Zuhörer habe sich Artauds Bilder gefälligst dazu zu gewärtigen, so offenbar die Idee von Wolfgang Rihm. Der Zuhörer aber ist nicht geneigt, sondern gelangweilt.

Zuvor gab es eine weitere Rarität: Darius Milhauds „Les Choéphores“. Choephoren sind  „Weihgussträgerinnen“, „Grabspenderinnen“. (Diese Festspiele leisten wirklich einen Beitrag zur Bildung! Das kann man schon am sechsten Festspieltag resümieren). Vielleicht darf man sie einfach auch Klageweiber nennen. Die Sängerinnen jedenfalls begleiten Elektra zum Grab Agamemnons. Der Herr der Herren und Heere - ein rechter Arsch vor den Göttern und Menschen - ist von seiner Gattin und deren Geliebten im Bade abgestochen worden, wie ein Hund, nachdem er „siegreich“ aus dem Trojanischen Krieg heimgekehrt war. Das ist an sich nicht nett und gehört nach bürgerlichem Recht auch bestraft. Wer aber im alten Griechenland dachte schon in den Kategorien bürgerlichen Rechts (das kommt erst später von den Römern). Immerhin hat Agamemnon Klytaimnestras ersten Gatten und ihren kleinen Sohn brutal geschlachtet, nur weil er die junge Frau haben wollte … Die Dienerinnen des Hauses - die Choeophoren eben - beklagen trotzdem den Mord an Agamemnon - und stacheln und sticheln Sohn und Tochter zur Rache an.

Die Frauenstimmen des Salzburger Bachchores waren die - weitgehend - einstimmig und einlullend agierenden Choeophoren. Die Sopranistin Lucy Crowe war eine brillante Elektra, der Bariton Jean-Luc Ballestra ein luxuriös besetzter Orest. Auch Milhaud setzt auf Schlagzeug und Rhythmus - und auf (nach Ankauf der Festpielkarte) kostenlose Nachhilfe in griechischer Mythologie.