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Komm in das Reich der Ruhe

FESTSPIELE / ORFEO ED EURIDICE

01/08/10 Während der Ouvertüre geht es nicht nur mit Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern bergab (die Orchestergraben-Versenkung funktioniert wirklich perfekt lautlos), sondern auch mit Euridice. Aus inniger Umarmung heraus entgleitet sie Orfeo, und er hält nur noch ihr rotes Kleid in Händen.

Von Reinhard Kriechbaum

Nachdem der Chor rote Blumen und Kerzen beigestellt hat zur Grabpflege, wird Orfeo mitsamt dem Grünzeug verschluckt von der Erde. Dann geht es aber doch prosaischer weiter auf der Reise in die Unterwelt. Während die Furien dem Neuankömmling ihr Veto entgegenschreien, kommt dieser mithilfe einer Leiter in sehr stabiler Metall-Bauart vom Schnürboden herunter.

Auch der Orcus hat seine baupolizeilichen Vorschriften. Die muss man so ernst nehmen, wie es Dieter Dorn als Regisseur, Jürgen Rose als Bühnenbildner und Ramses Sigl als Choreograph mit "Orfeo ed Euridice" insgesamt getan haben. Tierisch ernst also. Eins zu eins wurde die Geschichte auf die Bühne übertragen und in geschleckte Bilder übersetzt. Es ist an diesem Abend, als ob Karajans Hochglanz-Ästhetik fröhliche Urständ feiert. "Grausame Götter", singt der todtraurige Orfeo - und da kommen die altern Herren auch schon von hinten angeflogen. Stoisch sitzen sie auf einem weiß leuchtenden fliegenden Teppich.

Orpheus wird vom "Klang" begleitet, einer Gruppe von Lyra-Trägerinnen, auf dass wir nur ja mitbekommen, dass wir es mit einem Mann des Musischen zu tun haben. Chor und Bewegungschor waren vermutlich gerade bei einem Sommerfest. Sie schauen adrett aus in ihren pastelligen H&M-Anzügen und Coctailkleidchen. Das macht sich auch im Elysium gut, wo man schaumgebremst über Glasplatten latscht und trotzdem eine gewisse Schwerelosigkeit vortäuscht. "Komm ins Reich der Ruhe", singen die seligen Geister.

Ja, das Reich der Ruhe ist absolut ungetrübt. Wir dürfen zwei unbeschwerte Stunden im Großen Festspielhaus verbringen (gibt es eigentlich eine Oper, die noch weniger dorthin passt?) und alles interpretierende Denken außen vor lassen. Vielleicht deshalb haben die Premierengäste der Produktion außerordentlichen Jubel nicht versagt. Vor allem haben sie Dieter Dorn und sein szenisches Team dezidiert eingeschlossen in ihre Bravo-Rufe.

Der alte Herr arrangiert schöne Tableaus. Dass er nicht ein einziges Mal abzweigt vom Weg der unmittelbaren Bebilderung muss ihm dann aber doch auch selbst aufgefallen sein, denn ganz zum Schluss, wenn Amor die endgültig verloren geglaubte Euridice doch wieder ins Leben zurückbefördert hat und noch ziemlich viel Instrumentalmusik übrig ist, werden wir mitsamt dem liebenden Paar Zeugen eines absonderlichen Schauspiels: Da bekommen wir in pantomimischen Szenen mit dem Holzhammer vorgeführt, dass bei den meisten Paaren im Gegensatz zu Orfeo und Euridice Zwist und Hader herrschen. Sogar bei einem Schwulenpärchen funktioniert's nicht!

Abgeschmackt, das alles? Ja. Und die Musik rettet so gut wie nichts. Riccardo Muti ist keiner, der an der Emotionsschraube dreht. Bestenfalls moderat toben die Furien, dafür werden Nummern wie der Reigen seliger Geister in aller Idylle zelebriert, derer die Wiener Philharmoniker fähig sind. Am Anfangsteil der Ouvertüre sollte man noch arbeiten. Vielleicht weniger schnell nehmen, oder doch üben? Die paar wackeligen Einsätze vom Premierenabend werden sich bald einpendeln.

Angenehmes ohne Ecken und Kanten. Elisabeth Kulmann ist Orfeo (es wird die Wiener Fassung von 1762 gespielt, da sang diese Rolle ein Countertenor). Sie tut's sehr ordentlich, mit schlank gefasster Stimme, ohne Schlacken. altFür echtes Charisma reicht es in diesen Raumdimensionen nicht wirklich, und Stilfragen werden von Muti sowieso nicht eingefordert.

Als Salzburger müssen wir natürlich der hier ausgebildeten Genia Kühmeier besonders die Daumen halten. Dass Euridice dem Orfeo eine ordentliche Szene macht, weil er sie nicht ansieht und nicht mir ihr spricht, wogegen sie wie jede Frau artige Komplimente hören will - das kommt, auch wegen mangelnder Unterstützung aus dem Orchestergraben und wegen der in dieser Phase besonders kunstgewerblichen Regie, bestenfalls schaumgebremst heraus. Aber im Lyrischen hat Genia Kühmeier berührende Momente. Christiane Karg ist Amor. Auch sie ist Mozarteums-Absolventin, hat 2006 hier in einigen Jugendopern Mozarts überzeugt und wurde 2009 von der Opernwelt sogar zur Nachwuchssängerin des Jahres gekürt. Als Amor (zugegeben keine dankbare Partie) war die Überzeugungskraft eher halbgöttlich.

Orfeo ed Euridice ist ein Geschenk an Riccardo Muti, der seit vierzig Jahren hier dirigiert. Als Aufführung ist's verschenkt: Im Römersteinbruch von St. Margarethen würde man dieser Produktion höchste Achtung zollen. Und dort erreichte man gleich viertausend Leute auf einmal, die nicht minder begeistert wären als die Salzburger Gäste.

Weitere Aufführungen 3., 7. 13., 19., 21. und 24. August. - www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Hermann und Clärchen Baus

 

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