Das große Notenfressen

FESTSPIELE / MARTHA ARGERICH (2)

02/08/10 Besondere Vorkommnisse? Nach einem Kammermusikstück ist der Hund des Pianisten getürmt und hat am Podium aufgeregt freudig herumscharwenzelt. Die Sympathie der Hörer für Hund und Herrl war enorm.

Von Reinhard Kriechbaum

Am liebsten hätte man es ja dem Vierbeiner gleich getan und schwanzwedelnd die Freude darüber gezeigt, dass Brahms Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25, in dieser Musikerkonstellation ein Schrecken ohne Ende, doch noch irgendwann aufgehört  hatte. Da war's immerhin schon fast halb elf und es stand noch ein ganzer Konzertblock bevor. Waren das viele Noten am zweiten Kammermusikabend mit Martha Argerich am Sonntag (1.8.) im Mozarteum!

Schon der erste von drei Teilen hatte beinah volle Konzertlänge und hielt unter anderem mit der Caprice héroique für zwei Klaviere von Camille Saint-Saens und der Suite "Fantaisie-Tableaux" ebenfalls für zwei Klaviere von Sergej Rachmaninow so attraktive wie eingängige, sehr virtuose Raritäten bereit. Dazwischengestreut noch die Klaviersonate von Leos Janácek: Manchmal meint man es fast zu gut mit den Zuhörern.

Es hat etwas, wenn "Freundesrunden" auf dem Podium zusammenkommen. An diesem Abend hatte Martha Argerich die Klavier-Kollegen Lilya Zilberstein, Jura Margulis und Walter Delahunt (das war der mit dem lieben Hund) eingeladen. Dazu noch Dora Schwarzberg (Violine), die eher als Lehrer-Autorität gilt, Nora Romanoff (Viola) und Mark Dobrinsky (Violoncello). Und Mischa Maisky darf bei Argerich sowieso nicht fehlen. Diesmal haben sich die beiden recht eruptiv, aber gestalterisch ohne erkennbare Ziele an Chopins Violoncellosonate g-Moll op. 65 abgearbeitet - und auch das Zuhören war eine Sache, zu der einem am ehesten das Wort "Arbeit" einfällt.

Im zweiten Teil des Abends hat es jedenfalls entschieden am Genussfaktor gemangelt. Das Klavierquartett von Brahms in der Besetzung Delahunt/Schwarzberg/Romanoff/Drobinsky) war tonlich zurückgeschraubt auf Zimmerlautstärke, was so unsympathisch nicht wäre. Dann und wann ist schon auch ein Funken Charisma bei jedem der Musiker aufgeblitzt. Aber wehe, wenn Geige und Bratsche in Terzen und Sexten parallel gehen (und das ist ja so selten nicht): Letztendlich sollten auch musikalische Freunde-Begegnungen mit ordentlicher Intonation zu tun haben. Aber blattgespielt war's schon ganz locker …

Der danach dringend nötige Aufheller, in der vierten Konzertstunde schon: Géza Hosszu-Legocky kommt aus einer ungarisch-zigeunerisch vorbelasteten Familie, schon Vater und Großvater spielten in Zigeunerkapellen. Der Sohn (der am ersten Argerich-Abend sehr überzeugend Schumann gespielt hatte) hat diese Musik im Blut und mit "The 5 DeVils" verteufelt gute Kompagnons. Streichquintett, ein Klarinettist und ein fulminanter Zauberer am Cymbalon (ja: eins plus fünf ergibt in diesem Ensemble sieben) - das ist die klassische Besetzung einer solchen Zigeunerkapelle. Offenheit ist angesagt. Da bringt Géza Hosszu-Legocky aus der Klassik oder der Volksmusik Themen ein, und der Cymbalon-Spieler macht sich sogar über Bachs d-Moll-Tokkata her - und letztlich mündet das alles in genau jenem Sound, den man gleich aufs erste Hinhören geographisch richtig zuordnet. Was das Tempo und die Improvisationskunst anlangt, nehmen es Géza Hosszu-Legocky und seine Begleit-Teufel jederzeit mit urtümlichen Zigeunergruppen wie Fanfare Ciocarlia auf.

Die Rhythmen sind jedenfalls ins Blut der Zuhörer gefahren (die erstaunlich sesshaft waren, auch zu später Stunde noch). Da hat sich Martha Argerich also am Ende selbst noch schnell ein Geschenk gemacht, sie saß in der ersten Reihe und freute sich so wie die anderen.

Zum Bericht über den ersten Argerich-Abend Jung in den Fingern und im Kopf