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Wir, der Präsident. Oder Orpheus und Eurydike im Heim

FESTSPIELE / DICHTER ZU GAST / SENTA BERGER

02/08/10 Ein überdimensionaler, leerer Bilderrahmen ziert die Bühne des Landestheaters und bietet viel Platz für die eigenen Bilder im Kopf. Und der wurde auch gebraucht, als gestern Sonntag (1.8.) Senta Berger die Reihe „Dichter zu Gast“ mit einer Neuinterpretation des Orpheus-Mythos von Claudio Magris eröffnete.

Von Roman Gerold

Aufgrund einer „Infektion, schlimmer als hätte mich eine giftige Schlange gebissen“, muss Eurydike aus der Welt. Ihr neuer Aufenthaltsort ist ein ominöses, mit Zerrspiegeln umzäuntes Heim am Rande der Stadt, bei dessen Betreten sämtliche Uhren abgegeben werden müssen und in dem ein ewig undurchdring­liches Dämmerlicht herrscht. Und wenn auch seine In­sassen gleichmütig dösen, so dürfen sie doch nicht schlafen. Ihr Wegnicken sei „so gefährlich wie das Einschlafen im Schnee“. Sind sie für die ‚draußen‘ doch „ein Insektenschwarm, der den Him­mel verdunkelt“.

Dem geheimnisvollen Präsidenten dieses Heims schildert Eurydike in der Erzählung „Ver­stehen Sie mich bitte recht“ ihre Sicht der Dinge. Das heißt: ihren Blick auf die Beziehung zum (hier namen­­losen) Dichter und die Umstände der (vermeintlich) missglückten Rettungsaktion.

Magris’ Eurydike er­innert sich ausführlich an Szenen eines Ehelebens: Momente erotischen Glücks. Wie sie ihren Mann, den lebensunfähigen Schlappschwanz, in die Beziehung ‚einschulte‘. Dass eigent­lich sie verantwortlich für seinen künstler­ischen Erfolg sei, weil sie ihm „seinen Wortschwall zurecht gestutzt“ habe: „Er sagte nie etwas, er war immer einer Meinung mit mir.“

„Ohne mich wäre er heute noch ein Kind“, sagt Eurydike an anderer Stelle. Sie erst habe den Dichter zum Mann gemacht und belustigt zugeschaut, wenn er sie, die Muse, in Gesell­schaft aus­schmückend nachahmte, und dabei fest der Überzeugung blieb, seine eigenen Ideen zum Besten zu geben.

Sie hat sich in ihrem Dichter-Mann verwirklicht und sich dabei als leidens­fähige Frau erwiesen – letztlich sei sie wohl durch das Gift jener Pfeile krank geworden, die eigent­lich ihm ge­golten hatten und die sie für ihn immer abgewehrt hatte. Doch sie habe keine große Sache aus der Krankheit gemacht. Und überhaupt spiele es ja keine Rolle, in welches Herz die Pfeile treffen, „wenn zwei eins sind“. Grenzenlose Liebe zur Dichter­seele ist es auch, die Magris’ Eurydike dazu treibt, ihre eigene Rettung am Ende zu sabotieren.

Claudio Magris’ Mythos-Neuerzählung ist so vielschichtig ausgefallen, wie die Grundthemen Liebe und Tod es vorgeben. Ob man das ‚Heim‘ nun als Ort eines gesellschaftlich Abwei­chen­den be­trachten möchte oder ganz konventionell als ‚Jenseits‘, ob man die über­schrittene Grenze als Grenze im politi­schen Sinn sehen möchte oder als Grenze zwischen Frau und Mann: Man kann die familiären Reflexe in dieser ebenso verworrenen wie herzlichen Lebens­gemeinschaft fokussieren oder die Poetologie in den Blick nehmen: Magris’ andeutungsreiche Bearbeitung des Orpheus-Motivs gibt für alle etwas her.

Senta Berger las die Eurydike lebendig und humorvoll und verlieh dem Text den einen oder anderen Unterton, den man beim stillen Lesen vielleicht anders wahrgenommen hätte. Streichungen und Straffungen taten das ihrige, um ein besonderes Augenmerk auf die Merkwürdigkeiten des Ehe-Alltags zu lenken, die bekanntlich immer für Pointen gut sind. Während der Lesung irritierten aber besonders auch jene Momente, in denen der „Präsident“ direkt angesprochen wurde und man sich – zumindest für Augenblicke – als Zuschauer gemeint fühlen konnte. Und noch eine Lesart: Wir als fleißige Manager eines verschwiegenen Toten-Heims, in das der Dichter gekommen ist, um uns beredt seine Friedensbotschaft vom leidenschaftlichen Erzählen zu überbringen. Der Applaus war jedenfalls nicht enden wollend.

Bild: SFS

 

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