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Was Gott ist und wie wohl er tönt

FESTSPIELE / KOLLEGIENKIRCHE / KONTINENT RIHM 2

03/08/10 Wenn man nach repertoiretauglicher Neuer Musik sucht, ist man mit einem Griff in die Notenkiste des Wolfgang Rihm allemal bestens beraten. Für "Quid est Deus", ein 2007 entstandenes Chor-Orchesterstück, könnten sich selbst konservativ verstockte Hörer erwärmen.

Von Reinhard Kriechbaum

Was Gott alles ist, das kann man bei dem ominösen Autor "Hermes Trismegistos" nachlesen, dessen Schriften man in der Renaissance wiederentdeckt hat: 24 Statements, die göttliches Wesen in schlagwortartigen Sentenzen so einigermaßen greifbar zu machen versuchen. Mit dem Gottesbild dieser katechismusartigen Sätze könnte sich auch die christliche Kirche weitgehend identifizieren. Die Texte sind aber zwei- oder dreihundert Jahre älter als das Christentum.

"Deus est" singt der Chor also 24 Mal, und Wolfgang Rihm hat die Sentenzen mit allen vertrauten Mitteln ausgemalt. Freilich: Wir bewegen uns in den Gefilden der Postmoderne (vielleicht sogar einer dubiosen "zweiten Moderne", was das auch immer sein könnte). Es wird also schon so gemeint sein, dass wir das Geläufige gefälligst mit anderen Ohren hören, mit anderen Bedeutungsinhalten angefüllt sehen sollten. Das drängt sich aber nicht auf, wenn allzu platt koloriert wird. Da ist Gott also die Liebe, und das "amor" ist selbstverständlich ein sanftes Decrescendo. Wenn von der "sempiternas", der Ewigkeit gesungen wird, ist sofort alle melodische Bewegung draußen und wird durch psychedelisches Grummeln im Orchester ersetzt. Gott als das Immerbewegende? Für Rihm willkommener Anlass, aufgeregte Staccatopassagen zu schreiben. Und beim göttlichen Intellekt wird nicht auf die Pauke, sondern gleich auf die große Trommel gehauen.

All das ist in ordentlichem Tonsatz gefasst, raumfüllend, gefällig instrumentiert. Das SWR Vokalensemble Stuttgart und das SWR Sinfonieorchester Badan-Baden und Freiburg unter Sylvain Cambreling haben das im besten Sinn gediegen in tönendes Cinemascope übersetzt, das die Kollegienkirche am Montag (2.8.) so recht ton-süffig erfüllte. Zu gehobenen kirchlichen Feierstunden könnte man sich Rihms oratorienartiges Stück gut vorstellen, vielleicht gar in Kombination mit Bruckners "Te Deum". Davon nähme man dann vielleicht den Eindruck mit, dass "zweckdienliche" Musik eigentlich immer gleich anschaulich gefasst ist. Andere nennen das Eklektizismus und in dem Fall vielleicht ganz und gar unverblümt: Kitsch.

Klaus Hubers Orchesterstück "Tenebrae", 1966/67 entstanden, ist da jedenfalls Musik deutlich anderen gedanklichen Kalibers. Da muss man als Hörer zwischen den kleinstgliedrigen und feinst tönenden Mikroorganisem erst seinen Weg suchen. Diese Passionsmusik ohne Worte will dechiffriert sein und pfropft sich nicht aufdringlich in die Ohren wie Rihms Werk. Toll jedenfalls, wie Cambreling und das perfekt ausgewogene Orchester aus dem Filigran ein Ganzes - mit gleichsam aus sich heraus atmender Formstruktur - haben wachsen lassen.

Da hatte man die erste halbe Konzerstunde rasch aus den Ohren, und das ist nur gut so: Das Hilliard Ensemble sang Tenebrae-Responsorien des Carlo Gesualdo. Die manieristisch übersteigerten, harmonisch tollkühnen Kompositionen lassen Hörer wie Sänger gelegentlich am Tonsystem (ver)zweifeln. Diese Stücke haben besonders rau und bizarr geklungen, aber das liegt nicht an der Komposition, sondern am derzeitigen stimmtechnischen Zustand des Hilliard Ensembles. So kann es sich eigentlich nicht mehr hören lassen.

Übertragung am Dienstag, 3.8., um 23.03 Uhr, Ö1

 

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