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Schumann, bis über beide Ohren verliebt

FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT GRIGORY SOKOLOV

06/08/10 Sokolov-Hörer wissen es natürlich: Man darf sich nicht täuschen lassen von dem "coolen" Auf- und Abtreten des Meisters. Und so haben sehr viele Begeisterte am Donnerstag (5.8.) im Großen Festspielhaus auch nicht so schnell das Feld geräumt.

Von Reinhard Kriechbaum

Und tatsächlich: Grigory Sokolov lieferte wieder seine obligaten sechs Zugaben ab, eine aparte Mischung aus Chopin und Skrijabin. Apercus und Marginalien, in denen er keineswegs den Virtuosen raushängt, sondern gern hineinführt ins Leise. Dinge zum genauen Hinhören, auch am späten Abend noch (Solistenkonzerte dieser Art im Großen Festspielhaus beginnen für gewöhnlich ja erst um 21 Uhr).

Im Zugabenblock also ein indirekter Rückbezug auf das, was Grigory Sokolov inmitten des Programms mit den Fantasien op. 116 von Brahms gemacht hat. Diese Stücke, die vor drei Tagen erst Valery Afanassiev in Salzburg mit aller körperlicher Vehemenz und in kompromissloser  Fukussierung auf die jeweiligen Ideen-Kerne dargestellt hat, die geht Sokolov ganz anders an. Für ihn sind die Noten so etwas wie ein Klavierauszug, den er am liebsten orchestrieren möchte. Man glaubt zu erkennen, wo Brahms die Hörner unter die Streicher gemischt hätte, die Klarinetten anführen oder andere Holzbläser zu Soli hätte anheben lassen. So orchestral wie durchsichtig angelegt wirkten an dem Abend also diese späten Klavierstücke. Das erste und letzte Capriccio der Sammlung durfte schon ordentlich peitschen in der jeweils letzten Akkord-Raserei. Aber in Summe geht es Sokolov ums Farbenspiel.

Das Erscheinungsbild des sechzigjährigen Grigory Sokolov spiegelt keine Emotion - aber wenn er Schumanns f-Moll-Sonate op. 14 hernimmt, dann wird man hineingerissen ins Gefühlsleben des 26jährigen Komponisten, der damals, 1836, bis über beide Ohren verliebt war in Clara. In den ersten anderthalb Minuten des ersten Satzes entfaltet Sokolov anderthalb Dutzend unterschiedlicher, mehrheitlich freudvoller Stimmungen. Das vergnügte Tändeln, ein übermütiges Hüpfen wird die Sonate fortan bestimmen, ein pulsierender, sprudelnder Ungestüm, der auch technisch an Grenzen geht. Sokolovs Technik verdient einfach grenzenlose Bewunderung. Wie jähe Launen kommen schwärmerische und auch zweiflerische Töne hinein. Anschaulicher kann man Schmetterlinge im Bauch musikalisch nicht illustrieren.

Eine Besonderheit: Schumann hatte ursprünglich zwei Scherzosätze geschrieben, dann beide für die erste Drucklegung wieder ausgeschieden, zuletzt das zweite Scherzo wieder mit hinein genommen. Sokolov stellte die Sonate quasi in Urgestalt, in fünfsätziger Variante vor. Und noch was: Im langsamen Satz variierte Schumann ein Thema von Clara.

Bach spielt derzeit keiner so wie Grigory Sokolov: die Partita c-Moll BWV 826 zum Auftakt - das war Musik von der man sich spontan wünschte, sie möge doch niemals enden. Die unerhört gediegenen Non-Legato-Abstufungen für die Melodiestimmen; die organisch singenden kleinen Ornamente; die in den schnellen Suitensätzen in der Farbe so deutlich abgesetzten Basslinien, aus denen Sokolov gerne in unerwarteten, kleinen rollenden Bewegungen Energie zieht: Das stand alles für einen klaren, unromantischen, aber deswegen keineswegs unsentimentalen Bach. Absolut im Zentrum: die Sarabande, mit allen Wiederholungen, so langsam wie nur denkmöglich aufgefaltet in Piano- und Pianissimo-Phrasen. Wie subtil man Basstöne hintupfen kann im Großen Festspielhaus: geradezu unerhört.

Bild: SF / Artists Management Company / Franco Panozzo

 

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