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Das Obergemach des ewigen Mysteriums

FESTSPIELE / IN TYRANNOS

22/07/22 Es war eine jener Gelegenheiten, bei denen die Festspiele so richtig auf den Putz hauen: Drei Programmblöcke am Donnerstag (21.7.) bei der Ouverture spirituelle in der Kollegienkirche. Das Klangforum Wien, die Camerata Salzburg, der Arnold Schoenberg Chor, ein armenisches Gesangsensemble, zwei Dirigenten...

Von Reinhard Kriechbaum

Ordentlicher Luxus sicherte also Musik jenseits des Programm-Alltags ab. Für solche Termine schätzt man die Festspiele, und sehr oft wächst aus eigenartig anmutenden Werkzusammenstellungen tatsächlich überraschender Mehrwert. Das muss freilich nicht unbedingt so sein: Am Donnerstag ist man nach drei Stunden rausgegangen in dem Bewusstsein, gewiss das jeweils Bestmögliche gehört zu haben – aber das war's auch schon. Sitzfleisch-Strapaz und Hörgewinn gingen da einfach nicht zusammen.

Die Crux begann beim hochstilisierten Motto der Programmfolge: In tyrannis! So heißt der erste der vier Sätze von Luigi Nonos Guai ai gelidi mostri. Nono hat sich da – wie es seine Art ist – einzelner Wörter aus einem Nietzsche-Text bedient. „Staat heißt das kälteste aller Ungeheuer“, schrieb Nietzsche. Nono versagte dem Text als Ganzes die Verständlichkeit, das Aufbegehren bekommt man als nicht tiefen-informierter Hörer am ehesten subkutan, vom Klangerlebnis her mit. Das ist auch nach vierzig Jahren eine Musik für Fachleute, und das wird sie vermutlich bleiben. „Musica riservata“ hat man einst zu einem solchen Kunstverständnis gesagt.

Gleichwohl: erlebnishaft nachgezeichnet vom Klangforum Wien, von zwei Vokalsolistinnen und von gleich drei Live-Elektronikern, alles zusammengehalten und in gebotener Schoffheit wieder aufgefächert von Sylvain Cambreling.

Nach der ersten Pause kamen die Camerata und der Schoenberg Chor aufs Podium. Zwei Gesangssolisten auf den Balkonen hinten oben in luftiger Höhe. Am Pult nun Titus Engel. Im Requiem von dem 83jährigen Armenier Tigran Mansurian geht es, klar, um jenseitige Dinge. Den diesseitigen Bezug, als künstlerischen Widerhall auf den Völkermord am armenischen Volk durch die Türken vor etwas über hundert Jahren – den zu finden braucht's schon recht gefinkelte Schachzüge wohlmeinender Exegeten. Man lässt besser die Finger vom Hinein-Interpretieren, die charismatische Musik spricht für sich. Der Chor ist unorthodox eringesetzt, oft mit einstimmigem Gesang der Stimmgruppen, den das Streichorchester punktuell unterstützt. Der Komposition eignet ein nicht zu übersehender Hang zum Plakativen. Das Tuba mirum, vom Bass-Solisten heruntergeschmettert auf die Zuhörer, macht schon was her, und das von den Tenören ultra-sanft und innig intonierte Sanctus reizt die Ohren. Da und dort ein „außereuropäisches“ Melodie-Melisma. Als „Gebrauchsmusik“ ginge das jederzeit auch in römisch-katholischen Gedenkmessen durch. Die Begegnung mit diesem Stück läuft unter willkommene Horizonterweiterung.

Als eine solche wäre möglicherweise der dritte Programmblock gemeint gewesen, aber da waren eindeutig die falschen Leute mit der falschen Musik zupass. Anahit Papayan, eine tolle Sopran-Solistin und Leiterin de aus weiteren sieben Sängerinnen bestehenden Geghard Vocal Ensembles, hat da einen Streifzug durch rund 1.700 Jahre armenischer Kirchenmusik unternommen. Das war ein ganz wundersamer Wohlklang, eine geglückte Synthese aus kernigen Stimmen und optimaler Verschmelzung. Wenn diese acht Frauen Stücke der armenischen Liturgie – dem so genannten Patarag – von Komitas Vardapet (1869-1935) singen, dann hat das den feinen Charme von Kärntnerliedern. Besser, runder, gefühlvoller kann man das nicht angehen, auch nicht die vielen, vielen Hymnen, die vor allem zeitgenössische Komponisten oder Bearbeiter simpel oder komplexer harmonisiert haben. Meist münden diese Gesänge in g'schmackige Dur-Kadenzen. Hin und wieder kann man auch melodisch/melismatische Besonderheiten entdecken, dies aber eher in Spurenelementen.

Was man da also hörte, hat mit 17 Jahrhunderten genuiner Vokaltradition herzlich wenig zu tun, läuft eher als geistliche Folklore in Form bravouröser Sätze für Frauenchor. Völlig schleierhaft, wie das zum Motto In tyrannis! hätte passen sollen. Und, so nebenbei: Den Zuhörern ein dickes Programmbuch um 11 Euro anzudrehen und ihnen dann das Licht abzudrehen, das Mitlesen unmöglich zu machen – das ist schon fast ein wenig boshaft. Vom „Obergemach des ewigen Mysteriums“ ist in einem der Texte die Rede. Von dort hätte man zu gerne etwas mitbekommen.

Hörfunkübertragung am 9. August um 23:03 Uhr in Ö1

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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