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Ohne Mitleid kein Menschsein

FESTSPIELE / MOZART-MATINEE

24/07/22 Den Titel Lamentatione fasste Haydns Symphonie d-Moll Hob. I:26 schon zu dessen Lebzeiten aus. Abschriften finden sich in zahlreichen Archiven von Klöstern und Fürstensitzen. Das Werk steht in Verbindung mit dem aus Passionen vertrauten musikalischen Gestus.

Von Erhard Petzel

Das Werk ist außergewöhnlich in Haydns Instrumentalschaffen. Im 1. Satz opernhafte Dramatik des Hauptthemas, die sich im Seitenthema bis zur Selbstauslöschung reduziert, um in der Schlussgruppe wieder so richtig dreinzufahren, während die Bläser simple Choralmelodien beisteuern. Prächtig die Bläserwolke in der Reprise und eine kurze Hardcore-Coda. Ein Arien gleiches Aufblühen im langsamen Satz, Choräle schreiten im Bett der Streicherfiguren voran. Einer ins Unbestimmte weisenden Menuett-Einleitung folgt ein pompöses Thema, im B-Teil imitatorisch gesteigert, jedes Mal aber Abgesang ins Verlöschen. Wilde Akzent-Impulse im Trio. So Penibel wie federnd visualisierte Andrew Manze die musikalische Bewegung und führte das Mozarteumorchester transparent und dynamisch durch delikate Klanggefilde.

Lamentatione war das Thema dieser ersten Mozart-Matinee, noch im Rahmen der Ouverture spirituelle. Das Mozarteumorchester bestach durch sein homogenes Zusammenspiel bei ausgelebter dynamischer Differenziertheit. Das Charisma von Andrew Manze verhinderte Zwischenapplaus und das leider sonst nicht seltene Gekrächze und Geröchel.

An Haydn also unmittelbar anschließend Mozarts Misericordias Domini KV 222 und das Ave verum KV 618, beide mit gemischtem Chor, Orchester und Orgel, die den Klangraum noch zusätzlich zum warmen Strahlen bringt. In aeternum fugiert zunächst bei den Männern, während bei Domini cantabo vorerst die Damen das Sagen haben. Diese beiden höchst polyphon verarbeiteten Textteile werden unterbrochen durch das homophone Misericordias; soviel zum textlich eingeschränkten Grundkonzept, das sich auf einen kompositorischen Kosmos formaler Spannung erweitert samt Orgelpunkt zum fulminanten Schluss.

Wer vermeint, über das Ave verum – einem von Mozarts Kirchenmusik-Schlagern - sei schon alles gesagt, wird eines Besseren und Neuen belehrt. Im entrückten Pulsieren entfaltet sich in zurückgenommener Schlichte transzendente Schönheit. Hier – wo ist er nur so lang geblieben – endlich der erste Huster passgenau in die ätherische Schlussfermate. Seinem Verursacher ist zu verzeihen, will man die Botschaft im Zusammenhang der Werke verstehen. Denn nicht um Trauer scheint sie zu kreisen, wie Tobias Pfleger im ansprechenden Programm vermittelt, sondern Misericordia dürfte eine zentrale Botschaft sein.

Dazu das Stabat Mater von 1767 nach der Pause. Nicht der Tod an sich ist das Thema, sondern das Mitleiden. Dass rhetorischer Gestus und Bildlichkeit von damals heute fremd erscheinen, wird durch die kulturell strukturierte musikalische Inszenierung und die christliche Semantik nicht abgefedert. Und doch führt uns das Konzert vor Augen: Ohne Mitleid kein Menschsein. Setzt man statt des den Opferstatus festigenden Terminus die Idee des Mitgefühls, sind wir mitten im Hier und Jetzt empathischer Kulturarbeit jenseits von Glaubenssätzen.

Dass es dafür zwanzig Strophen in dreizehn Abschnitten bedarf, bei Haydn mit ausufernden Wiederholungen, spricht nicht gerade dafür, dass die Schmerzen Marias vor der Leiche des geschundenen Sohns Alltagsgefühle und -verhalten auslösen müssten. Haydns emotional und ästhetisch mitreißende Musik wird im geschickten Wechsel und Miteinander von Mozarteumorchester, Chorus sine nomine und dem Solistenquartett zum Erlebnis. Carolyn Sampson, Marianne Beate Kielland, Bogdan Volkov und Peter Kellner bestechen mit homogenem Ensembleklang durch ihre gegenseitige Rücksichtnahme und unprätentiöse Technik. Vom Bass zum Sopran führen die Einsätze in Abschnitt zehn, worauf in dieser Reihenfolge noch ein Arienreigen anschließt, alles durchsetzt mit dem Chor und mündend in eine große Schlussfuge. Ein kräftiges Amen aller Kräfte überzeugt auch den trägsten Zuhörer.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

 

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