Von der Burleske zur Divina tragedia

FESTSPIELE / IL TRITTICO

30/07/22 Salzburg ist ja angetreten, Puccini zu „rehabilitieren“, so klang es vorab. Als ob der jemals vergessen, verfemt und/oder von den Spielplänen der Opernwelt verschwunden wäre. Stimmt schon, Gerard Mortier hat ihn nicht so gemocht und sein Intendanten-Nachfolger Peter Ruzicka über Turandot als ein Werk mit ästhetischem Überschuss geätzt... Und wenn eine Rehabiltierung tatsächlich nötig gewesen wäre? Fraglich, ob just dieser Trittico den Puccini-Hype ausgelöst hätte.

Von Erhard Petzel
und Heidemarie Klabacher

Werden die Festspiele heimlich vom Vatikan gesponsert? Reicht die lange Hand des Kardinals von Wien bis Salzburg? Nimmt der Erzbischof unlauteren Einluss? Jedermanns Himmelfahrt, Carl Orff und sein knöchernes Erlösungsgetrommel. Und nun auch noch die ins Kloster verbannte Adelige, die als sündige Nonne nach dem Selbstmord am Himmelstor Gnade erfährt... Da ist wohl jemand – dramaturgisch – wie Saulus vom Pferd gefallen und als Paulus „katholisch“ geworden.

Opern in kleinen Dosen stehen mit Blaubart/Comoedia von Bartók/Orff schon einmal auf dem Programm. Nun weitere drei Kurzopern, diesmal aus einer Hand: Il Trittico – Das Triptychon – von Giacomo Puccini umfasst die Einakter Il tabarro/Der Mantel. Suor Angelica/Schwester Angelika und Gianni Schicchi. Drei Stücke drei Welten. Grundsätzlich also keine schlechte Idee, die drei Meisterwerke wie vorgesehen an einem Abend zu spielen. Das kommt ja tatsächlich nicht so oft vor.

Regisseur Christof Loy änderte für die Salzburger Neuproduktion die Reihenfolge in der Meinung, die starke emotionale Wirkung von Suor Angelica (katholische Klosterschwester bringt sich um, trifft an der Himmelspforte den in Sünde empfangenen Sohn) würde durch das burleske Erbschleicherspiel Gianni Schicchi banalisiert. Mag die Intention also edel gedacht sein, wird sich eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Reihenfolge noch anschließen müssen.

So beginnt der Abend jedenfalls mit dem eigentlichen Schlussstück, das tatsächlich mit der Hölle von Dantes Göttlicher Komödie Beziehung steht – den dort schmachtet der Testamentsfälscher Gianni Schicchi. Misha Kiria stellt ihn als gestandenes Mannsbild auf die Bühne, dem man die Kraft zutraut, der Wut der von ihm um ihr Erbe geprellten Aristokraten-Bagage zu widerstehen. Herrlich aggressiv im Zorn, wunderbar in seiner stimmlichen Mimikry, ein Heros gegen den Verstorbenen, der sein Vermögen dem Kloster hinterlassen wollte. Wunderbar die Personenführung der Verwandtschaft, vom Regisseur zwar zur Karikatur freigegeben, aber ohne plumpe Blödelei und dem Ausdruck diverser Verwandtschaftsgemeinheit verpflichtet. Herrliche Stimmen in jeder Rolle.

Mit Il tabarro befindet man sich dann in einer für den Verismo typischen Szenerie. Die Ehe zwischen dem Frachtschiffer Michele (Roman Burdenko) und Giorgetta (Asmik Grigorian) ist spätestens nach dem Tod ihres Kindes ausgehöhlt, sodass der Mitarbeiter Luigi (Joshua Guerrero) für sie die Ehefrau eine sexuelle Ausflucht verspricht. Das Signal für das nächtliche Stelldichein läuft schief, Ehemann Michele erwürgt seinen Nebenbuhler, als sich seine Frau doch wieder zu ihm bekannt hätte. Herrliche Studie in Psychologie mit starkem Personal aus dem Sozialmilieu. Eine Paraderolle für Asmik Grigorian, die zentrale Figur des Trittico.

Suor Angelica spielt im Kloster. Angelica, eine Waise aus vornehmen Hause, ist hier wegen ihres unehelichen Kindes zwangseingewiesen durch ihre Tante (Karita Mattila). Als diese nach sieben Jahren auftaucht, erfährt Angelica vom Tod ihres Sohnes. Sie vergiftet sich, im Sterben erscheint ihr das Kind. Herrlich der Kontrast von älteren Frauenstimmen in der oberen Hierarchie und jungen Nonnen und Novizinnen.

Drei Frauen-Hauptrollen: Was für eine Herausforderung für Asmik Grigorian, von der Lauretta als verliebten Dummerchen mit dem fast einfältigen Gassenhauer O mio babbino caro über die von Macho-Männern und Sehnsüchten gleichermaßen malträtierte Giorgetta bis zur Angelica, die sich zuletzt mit zittrigen Händen an eine Zigarette klammern wird. Das klappt nur mit einer Sängerin auf der Höhe ihrer Gestaltungskraft und im verein des agil reagierenden und zugleich führenden Franz Welser-Möst am Pult.

Man erwartet bei Christoph Loy sowieso keine üppige Bebilderung. In Gianni Schicchi ist's ein Bett in einem sonst so gut wie leergeräumten Haus. In Il tabarro sind ein Sofa und ein Schleppkahn hinlängliche Ausstattungsstücke. Im Kloster der Suor Angelica schließlich herrscht eine deprimierende Kargheit aus Tischen und Stühlen. A propos Sitzgelegenheiten: Irgendwie fühlt man sich in allen drei Teilen an Christoph Marthaler und Anna Viebrock erinnert.

Beim frenetischen Schlussapplaus ist die Bühne mit Personal voll, sodass die beachtlichen Einzelleistungen auch hier durch ein generelles Bravissimo gewürdigt sein mögen. Musikalisch breiten Wiener Philharmoniker, Staatsopernchor und Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor einen ausdifferenzierten Klangkosmos mit hinreißender dynamischer Bandbreite aus. Die vielfältigen Gefühle und Stimmungen werden mit raffinierten Überraschungen verdeutlicht. Da ist Franz Welser-Möst als Dirigent zu Hause. Er macht nicht vergessen, dass Il trittico auch ein Kind seiner Zeit, sprich, doch schon Musik des 20. Jahrhunderts ist.

Angelehnt an Dante sollte die Stückabfolge Hölle, Purgatorium und Paradies symbolisieren. Das ist zumindest spekulativ. Den drei Stücken gemeinsam ist die Einheit von Ort, Raum und Zeit, beinahe den Sekundenstil des Naturalismus erfüllend. 1918 uraufgeführt, erweist die ursprüngliche Reihenfolge vielleicht auch ein Programm: Il tabarro zeigt Paare verschiedenen Alters mit unterschiedlichen sozialen Verletzungen und Bindungsproblemen, Liebe spiegelt sich als Folge persönlicher Inszenierungen und endet durchaus mortal, ein höheres Ziel oder Eingreifen ist kein Thema. Das soziale Umfeld bedingt das veristische Spiel. Suor Angelica zeigt ein Opfer entgegengesetzter sozialer Bedingungen und verweist auf Frauenfiguren der romantischen Oper wie Mimi oder Violetta, daher auch ein transzendenter Schluss.

Für das konventionell glücklich zueinander findende Liebespaar braucht es hingegen wider falsches Sentiment, die Farce. So findet Rinuccio (Alexey Neklyudov) nicht ganz ehrbar zu Schicchis Tochter Lauretta. Weil diese Rolle für Asmik Grigorian besser zum Aufwärmen ist und die beiden großen Frauenpartien folgen, scheint ihr diese Abfolge auf den Leib geschneidert. Die Clowneske am Schluss entsprächt aber doch wohl mehr Puccinis Intention. Wie auch immer, ein herrlicher Abend, um sich in Puccini zu verlieben.

Aufführungen bis 21. August – Die Vorstellung am 13. August wird ab 18.30 Uhr live auf ARTE Concert sowie zeitversetzt ab 22 Uhr in ORF 2 gesendet – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus