Lebensende-Musik voller Leben

FESTSPIELE / HAGEN QUARTETT

06/08/22 Letzen Werken eignet der Nimbus des Grenz-Überschreitenden. Das trifft's durchaus bei den teils unruhevoll und düster in sich kreisenden letzten drei Schostakowitsch-Quartetten. Aber Todesmusik? Das Hagen Quartett bezeugte einmal mehr auch deren pulsierende Kraft.

Von Heidemarie Klabacher

Freunde des Komponisten – der Bratschist und der Cellist des Beethoven Quartetts, das fast alle seiner Streichquartette uraufgeführt hat – sind im zeitlichen Umfeld der Streichquartette 13, 14 und 15 gestorben. Schostakowitsch selber war schwer krank. Er hat der Nummer 15 keine Widmung vorangestellt, was die Spekulation bis heute wach hält, er habe es als Requiem für sich selbst geschrieben. In den vorangegangenen dreizehn Quartetten folgte Schostakowitsch durwegs eher den klassischen „Regeln“. Ausgerechnet nahe dem Totenbett wandte er sich von Formen und Regeln ab und schrieb einen von dramatischsten Ereinissen unterborchen Reigen dlangsamer Sätze. Da hat jemand, des Todes gewiss, diesem die lange Nase gezeigt. Das gibt er finalen Resignation eine Note, die nachhallt.

Die energiegeladene Lesart des Hagen Quarttets wirkt wie eine Bestätigung. Das Mittlere der „Letzten“ – Streichquartett Nr. 14 Fis-Dur op. 142 – folgt eher dem klassischen Aufbau, ist auch das heiterste. Das Hagen Quartett hat es mit federleichter vorwärtsdrängender Verve gespielt. Hat auch hier in manch traumverlorenem Innehalten, etwa des Cellos über dem Pizzicato der Kollegen, verzaubert.

Einsätzig ist das Streichquartett Nr. 13 b-Moll op. 138, gewidmet dem Bratschisten des Beethoven-Quartetts. Auch am Freitag (5.8.) im Großen Saal des Mozarteums war es beinah ein Trio mit solistisch anmutender Bratsche. Dabei hat sich Veronika Hagen in keiner Sekunde in den Vordergrund gespielt. Vielmehr war es betörend mitzuerleben, wie sehr sie die vom Komponisten immer wieder explizit ins Zentrum gerückte Bratschenstimme auch in expressiven Momenten immer in Balance zu den anderen Instrumenten gehalten und den Dialog gesucht hat.

Die sechs bruchlos aufeinander folgenden Adagio-Sätze des Letzten – Streichquartett Nr. 15 es-Moll op. 144 – sind, obwohl der Vergleich sich jedesmal wieder aufdrängen will, kein modernes Gegenstück zu den langsamen Sätzen von Haydns Sieben letzen Worten. Das klappt mit der Ideologie nicht. Obwohl... So überirdisch schön allein der schlichte glasklare Beginn bei Schostakowitsch mit Cello und Geige anhebt, wie ein Volkslied, das sich unter Hinzutritt der anderen Stimme zum Choral erweitert... Aber ebenso heftig werden in der Elegie allfällige Peroden von Vergangenheits-Verklärung und Paradieses-Beschwörung (beides wohl kein großes Thema bei Schostakowitsch) immer wieder durchzuckt von wilden, heftigen, auch erschreckenden aber immer aufrüttelnden lebendigen Motiven. Wohl mögen die etwa langen Striche, im zweiten Satz, die durch alle Instrumente wandern und am Bogenende jeweils einen durchdringen Impuls setzen, auch etwas Infernalisch-Zerstörerisches haben. Sie lassen jedenfall in der Lesart des Hagen Quartetts durchaus auch „aufleben“. Betörend wiegend, und da hat man wirklich Angst vor Selbstmord, etwa durch Plumps aus wiegendem Nachen, waren die kurzen Walzer-Momente im zweiten Adagio Serenade. Dem Intermezzo, virtuos gespielt von Lukas Hagen, folgt, ausnahmweise Adagio molto, der Trauermarsch, in dem Zweite Geige, Bratsche und Cello Impressionen überirdischen Friedens erwecken und dann den trostlosen Trauermarsch überblenden. Ist es Resignation oder letzter Ausdruck einer Hoffung auf inneren Frieden? Der Epilog in der Lesart des Hagen Quartetts schien doch von letzterem zu zeugen.

Bild: Salzburger Festspile / Marco Borrelli