So richtig kulinarisch

FESTSPIELE / YUJA WANG

06/08/22 Bei ihrem Festspiel-Rezital-Debüt im Haus für Mozart, als Einspringerin für den armmaroden Evgeny Kissin, erschien sie zunächst im „kleinen Roten“, nach der Pause im noch kleineren „Grünen“. Doch trotz des Revuegirl-Outfits wirkt Yuja Wang fast schüchtern, wenn sie in Stöckelschuhen aufs Podium stakst und beim Verbeugen ins Publikum lächelt.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die chinesische Starpianistin gilt als „Stilikone der Klassik“. Aber entscheidend ist: Yuja Wang kann verdammt gut Klavier spielen, und ihre Programme sind bunt und stilistisch vielfältig. Diesmal begann sie mit zwei Liszt-Transkriptionen von Schubert-Liedern aus dem Schwanengesang, der verträumten Liebesbotschaft und dem virtuosen Aufenthalt. Darauf folgte die in glasklarer Perfektion gebotene Suite op. 25 von Arnold Schönberg, ein Werk zwischen serieller Konstruktion und barocker Anmutung, ein Gegenbild zur rauschenden Tastenromantik davor. Doch was dann kam, die geheimnisvolle Ungarische Melodie von Franz Schubert, führte in verinnerlichte, leise hingetupfte Gefühlswelten, in denen Yuja Wang offenbar auch daheim ist. Und von dieser immer wieder erstaunlich experimentellen Studie geht in der Tat ein direkter Weg zu den zwei gewählten Etüden aus dem Klavier-Jahrhundertwerk von György Ligeti, die nicht nur höchste pianistische Fertigkeit, sondern auch radikale Expressivität verlangen. Pausenlos schloss Automne à Varsovie, also ein „Warschauer Herbst“, an Schuberts ungarischen Spätsommer an. Es faszinierte, wie die Interpretin da zwischen all den Tasteneskapaden einen gleichsam glühenden Kern herausarbeitete. Ligetis 13. Etüde, L'escalier du diable (Die Treppe des Teufels), beendete in dramatisch herausgemeißelter Klanggewalt den ersten Teil.

Mit „Drammatico“ ist auch der erste Satz der 3. Sonate in fis-Moll von Alexander Skrjabin überschrieben. Wunderbar, wie Yuja Wang nach pathetischen Beginn die poetischen Qualitäten dieser im Grunde hochromantischen Musik zum Vorschein brachte, ehe sie im Finale wieder ein tönendes Feuerwerk entfesselte. Den Schluss des offiziellen Programms machten zwei Ausschnitte aus dem Zyklus Iberia von Isaac Albéniz, welche, entstanden 1906 bis 1908, einen Bogen schlugen zum Ende des 20. Jahrhunderts geschriebenen Werk Ligetis – es sind dies ja zwei Zyklen, in denen das Klavier sozusagen neu erfunden wurde. Yuja Wang betonte weniger die mediterrane Farbigkeit und mehr die strukturelle Feinarbeit und motorisch zündende Energie, die in Malaga und Lavapiés herrschen.

Darauf folgte ein mehr als halbstündiger, von Jubel umtoster Zugabenteil, der gleich einmal den „spanischen“ Faden wieder aufnahm. Des Mexikaners Arturo Márquez' Danzón Nr. 2 kennt man als effektvollen Orchesterschlager, es gibt davon aber auch eine brillante, originale Klavierversion, die man so richtig südlich-feurig in den Saal donnern kann. Danach ertönten die wahnwitzig schweren Carmen-Variationen von Vladimir Horowitz, die bei dieser Interpretin zum Taumel rhythmischer Kraft wurden, zur Erholung die jazzige Etüde Nr. 6 von Philip Glass und schließlich, mit kokettem Augenaufschlag serviert, eine Verneigung vor dem Hausgott Mozart, allerdings in Form einer von gleich zwei Kapazundern, Fazil Say und Arcadi Volodos, herrlich swingend übermalten Alla Turca-Paraphrase. Das riss einem natürlich den Applaus aus den Händen und erwirkte stehende Ovationen, die zum sensibel gestalteten Gretchen am Spinnrade von Schubert/Liszt führten. Und zum Abschluss gab es die hintersinnigen Vartiations des russischen Jazz-Außenseiters Nikolai Kapustin. Ja, ein Festspielabend darf auch einmal so richtig kulinarisch sein, noch dazu einer mit so vielen „Klassikern der Moderne“!

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli