Sehnsüchte und vokale Tondichtungen

FESTSPIELE / JONAS KAUFMANN

08/08/22 Ein Startenor wie Jonas Kaufmann füllt natürlich das Große Festspielhaus – trotzdem muss man es als Ort für intime Vokalkunst in Frage stellen. Allzu viel verpufft da, allzu sehr wird der Sänger zum Forcieren angestiftet. Obwohl Jonas Kaufmann es damit gottlob nicht übertreibt.

Von Gottfried Franz Kasparek

Lieder von Liebe und Sehnsucht, wie man allerdings fast jeden Liederabend betiteln könnte, sind keine Opernszenen, was der kluge Tenor weiß. Also versucht er, großteils mit Erfolg, seiner doch recht mächtig und schwer gewordenen Stimme sein seit eh und je polarisierendes, gaumiges Piano abzutrotzen. Dies mag eine der Bewunderung werte, gesangstechnische Meisterleistung sein, bleibt aber Geschmackssache. Die wortdeutliche Intensität des Ausdrucks, die zu den Vorzügen Kaufmanns gehört, kommt rüber. Ebenso die aus baritonalen Tiefen eigentümlich aufkeimende Höhe. Letzten Endes ist dies eine Stimme, deren Timbre unverwechselbar ist – dafür muss man heutzutage auch dankbar sein.

Im ersten Teil also gibt es eine romantische Schlagerparade von Beethovens Adelaide über Highlights von Schubert, Mendelssohn, Schumann, Grieg, Brahms, Richard Strauss und Wolf bis zu Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen. Dazwischen kann man sich an Preziosen wie Dvořáks An die alte Mutter, Tschaikowskys Nur wer die Sehnsucht kennt in einer (Rück-)Übersetzung ins Goethe'sche Original und an einem wundersamen Liebesgesang des schwer unterschätzten Alexander Zemlinsky erfreuen. Gottlob verhindert Kaufmann das Klatschen nach jeder Nummer mit einer charmanten Ansprache, nachdem dies dreimal geschehen ist. Der versierte Helmut Deutsch, Begleiter-Urgestein am Klavier, steuert feine Farben und schöne Übergange bei. Beglückt schreitet man in die Pause und findet sich im „Weltgetümmel“ wieder.

Nach der Pause gibt es neun Gesänge von Franz Liszt, dessen achtzig deutsche Lieder eine besondere Qualität aufweisen. Sie sind nämlich häufig kleinformatige Tondichtungen für Gesang und Klavier, denen ein Opernheld schon immer wieder tüchtig Stimme verleihen darf. Die drei Zigeuner allerdings hat man schon lange nicht so diffizil und gleichsam sprechend gestaltet gehört, ein Höhepunkt.

Interessant ist es, Klärchens Freudvoll und leidvoll erstens von einem Mann und zweitens gleich in zwei recht unterschiedlichen Fassungen zu hören. Das emphatische O lieb, solang du lieben kannst darf nicht fehlen. Eine Perle ist das 1874 entstandene Lied Ihr Glocken von Marling, das in seiner tonalen Unbestimmtheit früher Schönberg sein könnte. Der Visionär Liszt zeigt sich auch in der Loreley von 1856, in der, eben kurz vor Freund Wagner, der Tristan-Akkord auftaucht. Der war freilich keineswegs neu, denn als „Erfinder“ gilt mittlerweile, doch überraschend, Antonio Salieri – der war in der Tat noch Liszts Lehrer...

Bevor wir uns in Akkord-Mythen verlieren, hören wir mit Freuden die Zugaben. Auf noch einmal Liszt – Es muss ein Wunderbares sein – folgt zweimal klangsinnlich Richard Strauss – Breit' über mein Haupt dein schwarzes Haar und die berühmte Cäcilie, sonst auch eher Damensache. Und schließlich Schumanns perfekt gesäuselte Mondnacht, Carl Bohms einziges Vermächtnis an die Unsterblichkeit Still wie die Nacht und das in seiner Schlichtheit anrührende Wiegenlied von Brahms. Aber da war ja immer noch Nachmittag, der „Liederabend“ am Sonntag (7.8.) hat ja um 15.30 Uhr begonnen. Der Abend ist gut und die Nacht wird es auch sein...

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli