Zum zweiten Mal am Start

HINTERGRUND / FESTSPIELE / AIDA

09/08/22 Es sei bestimmt mehr drin, und darum gebe man Shirin Neshat und ihrer Sicht auf Verdis Aida eine zweite Chance. So etwa begründete Markus Hinterhäuser bei der Präsentation des aktuellen Festspielprogramms seine Entscheidung fürs Überarbeiten einer Produktion, die 2017 nicht gerade euphorische Gefühle geweckt hat. Er spricht bewusst von einer Neuproduktion.

Ganz dasselbe kann’s sowieso nicht werden. Damals dirigierte Riccardo Muti, jetzt steht Alain Altinoglu am Pult. Also ein Generationensprung. Die Titelrolle singt diesmal nicht Anna Netrebko sondern Elena Stikhina. Piotr Beczala hat die Partie des Radames von Francesco Meli geerbt. Es ist sogar sein Rollendebüt.

Ihre erste Annäherung an dieses Stück sei geprägt davon gewesen, „die Sprache der Oper und der Sänger in den Vordergrund zu stellen“, zieht Shirin Neshat das Resumé aus ihrer Regiearbeit 2017. „Die Erfahrungen als Bildende Künstlerin und Filmemacherin werde ich nuancierter und visuell provokanter einbringen. Mein jetziger Blick auf Aida ist einer, der sich spezifischer an der Zeit orientiert, in der wir leben“, kündigt Shirin Neshat an. Für sie habe der Stoff heute eine noch stärkere Dringlichkeit bekommen.

„Meine Arbeit zieht immer eine Parallele zwischen mir selbst als bildender Künstlerin und dem Spannungsfeld zwischen Religion und politischen Regimen“, erklärt die Iranerin.

Von der Fotografie kommend, widmet sich Shirin Neshat seit Mitte der 1990er Jahre der Filmkunst, wobei die Künstlerin sich in ihrer Arbeit insbesondere mit der Lage von Frauen in der muslimischen Welt auseinandersetzt. In ihren Fotografien und Videos habe sie stets versucht, ein Gleichgewicht zwischen einer poetischen Bildsprache und mystischen Aspekten zu finden, um das Dunkle und Gewalt aufzuzeigen. „Ich glaube, die Geschichte von Aida könnte kaum zeitgemäßer im Hinblick darauf sein, was Menschen im Iran, in der Ukraine, in Russland oder überall da auf der Welt erleben, wo sie Opfer von politischen Systemen oder Diktaturen werden.“ Dennoch will sie das Stück nicht auf die politische Dimension reduziert wissen.

Was die Anlage seiner Rolle betrifft, stimmt Piotr Beczala Shirin Neshat zu: „Im Dreiecksverhältnis zwischen Aida, Amneris und Radamès befinden sich alle in einem Dilemma: Von Radamès wird erwartet, Held seiner Nation zu sein, gleichzeitig liebt er die Tochter seines Feindes. Und Amneris versucht, das zu erhalten, was ihr zusteht. Dazu kommt das politische Komplott von Seiten Amonasros. Das kann nicht gutgehen, eigentlich eine unlösbare Situation.“

Aus einer rein iranischen Perspektive könne und wolle sie nicht sprechen, versichert Shirin Neshat. Sie selbst lebt ja seit ihrem 17. Lebensjahr in New York im Exil. Tatsächlich im Iran lebende Künstler brächten sicherlich einen anderen Blickwinkel ein. Generell verstehe sie sich als internationale Künstlerin, die für ein internationales Festival arbeitet. „Mir ist klargeworden, dass ich damals meine eigene Arbeit als bildende Künstlerin und Filmemacherin etwas zu sehr zurückgenommen habe. Jetzt habe ich eine breitere Palette und Handschrift zur Verfügung.“ Sie wolle versuchen, zu allen Menschen zu sprechen“.

Angesprochen auf sein diesjähriges Rollendebüt als Radamès bei den Salzburger Festspielen, erzählt Piotr Beczala: „Geplant war dies bereits vor zweieinhalb Jahren in New York, pandemiebedingt habe es jedoch verschoben werden müssen. Er sei froh, dass es nun in Salzburg dazu komme, speziell in dieser Konstellation. „Der Druck hier ist vergleichbar“, sagt der Sänger lachend. Die Produktion von 2017 – Shirin Neshats allererste Opern-Regiearbeit – habe er damals gesehen, aber für ihn sei das nun ohnehin eher eine Neuproduktion als eine Neueinstudierung. So sieht das ja auch der Intendant der Festspiele. (PSF/dpk-krie)

Giuseppe Verdis „Aida“ hat am 12. August Premiere im Großen Festspielhaus, weitere Vorstellungen am 15., 19., 23., 27. und 30. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Birgit Probst