Macht, Ethnie und Gender

FESTSPIELE / AIDA

13/08/22 Alte weiße Männer sind nicht so gefragt im Theaterbetrieb heutzutage. Viel lieber setzt man auf junge Leute. Außereuropäische Herkunft bevorzugt, Verankerung in anderen Kunstrichtungen gern gesehen. Unverzichtbar die Frauen-Perspektive. Im güstigen Fall kommt ein neuer, frischer Blick aufs jeweilige Stück heraus – im ungünstigen so etwas wie Aida.

Von Reinhard Kriechbaum

Mit Verdis populärer Oper ist die iranisch/amerikanische Foto- und Videokünstlerin Shirin Neshat zum zweiten Mal im Großen Festspielhaus am Start. 2017 hat sie die Aida erarbeitet, ihre erste (und, wer weiß, vielleicht auch letzte) Opern-Regiearbeit. Man hätte diese belanglose, stimmungslose Produktion getrost in der Versenkung verschwinden lassen können, aber die Festspielleitung ortete schlummerndes Potential. Shirin Neshats „hochpoetische und politisch aufgeladenen Bilder und Erzählungen“, ihre „aus persönlichen Erfahrungen als im Exil lebender Iranerin“ gespeiste Auseinandersetzung mit den Themen Macht, Ethnie und Gender (© Biographie im Programmheft) für die Opernbühne zu nutzen – wie modisch-zeitgemäß!

Nun erzählt Aida aber sowieso eine emotional aufgeladene Geschichte von „Macht, Ethnie und Gender“. Drei Menschen kommen mit ihren Liebes-Sehnsüchten ganz hoffnungslos und unentrinnbar unter die Räder eines Kriegs. Ein „Apparat“ (die Priester-Kaste) hat das Kriegs-treibende Sagen. Da braucht's keinen Ausflug in den Iran. Putin und Patriarch Kyrill im vergleichsweise nahen Moskau böten, wenn schon, entschieden näher liegende Anknüpfungspunkte. Zugegeben, solche Aktualität hat die Festspiel-Planer und die Regisseurin kurzfristig überrollt.

Keine Frage jedenfalls, Aida muss berühren. Wenn die äthiopische Sklavin Aida und der liebesglücklose ägyptische Feldherr Radames bei lebendigem Leibe eingemauert ihrem Ende entgegensingen und sich draußen die Königstochter Amneris, von ihrer Eifersucht geläutert, in Selbstvorwürfen zerfleischt – da darf einfach kein Auge trocken bleiben. Tut's hier aber, und damit ist das Stück im Kern erstickt als als in einem stylischen Ambiente getarnte Opernklamotte mit ziemlich beliebiger Video-Bebilderung.

So hat's die Musik diesmal echt schwer im Großen Festspielhaus. Aus dem Orchestergraben tönen die Wiener Philharmoniker ein wenig zu pauschal und zu kompakt. Zwischendurch lässt Alain Altinoglu ordentlich aufdrehen. Dann wird’s unkontrolliert blech-lastig. Das ist ordentlich kapell-gemeistert, nicht dramaturgisch zwingend vermittelt. Die Protagonisten stehen da und müssen, vom Altinoglu etwas weniger im Stich gelassen als von der regie-handwerklich völlig ahnungslosen Shirin Neshat, das Beste aus der Lage herausholen.

Meisterhaft macht das eine, die als Einspringerin ins Team gekommen ist: Die Schweizer Mezzosopranistin Ève-Maud Hubeaux als Amneris lässt von Beginn an nicht nur mit nachdrücklich-metallischem Timbre in der Tiefe keinerlei Zweifel daran, dass da eine Frau gewillt ist, mit jedem Mittel um eine ihr doch versagt bleibende Liebe zu kämpfen. Die scheinheilige Freundlichkeit gegenüber der Widersacherin, ihre manipulativen Aktionen zwischen Selbstentäußerung und Erpressung gegenüber Radames: Auf dieser Skala weiß sie spannend zu differenzieren. Das ist musikalisch überragend und – wenn Amneris in den letzten beiden Akten im weißen Kleid mit langer Schärpe quasi zum Endkampf um Radames antritt – auch szenisch einprägsam.

Man darf mutmaßen, das Szenische ist weitgehend Eigeninitiative dieser Sängerin. Denn im Umfeld gibt’s keine annähernde Entsprechung. Elena Stikhina in der Titelpartie führt wundersam lyrische Linien ins Treffen. „Sterben, so rein und schön“, heißt es am Ende – diese Aida tut's, wiewohl im schwarzen Kleid, mit engelsweißer Anmutung. Lieb und ein bisserl verloren steht sie da.

Piotr Beczala debütiert als Radamès. Das ist für ihn eine mutige Repertoireausweitung. Seine Sache ist ja das Lyrische. Er braucht sich vor keinem vokalen Höhenflug fürchten, und derer gibt’s viele und sehr exponierte in dieser Partie. Aber als zweite Seele in Radames' Brust lauert ja auch der karrieregeile Macho. Der kommt hier entschieden zu kurz. Beczala hätte nachhaltigere Führung vom Pult her und nicht minder im Darstellerischen gebraucht.

Festspielwürdig besetzt das Umfeld: sonor-gefährlich Erwin Schrott als Oberpriester Ramfis, staatstragend schwarz-bassig auch Roberto Tagliavini als König. Luca Salsi hat die nötigen Zwischentöne als Amonasro.

Der von Huw Rhys James einstudierte Staatsopernchor hat's leicht: Die meiste Zeit darf er ja dasitzen wie bei einer Oratorienaufführung. Und wenn Bewegung sein soll, dann sieht das so aus, als ob im Bühnenhintergrund Verkehrsampeln für unfallfreie Auf- und Abtritte sorgen. Dann und wann synchrones Händeringen, aber meist ist eh nur starres Dastehen gefragt.

Das Problem ist ganz einfach: Auch Regieführen hat ganz viel mit Handwerk zu tun, und das bringt die Videokünstlerin Shirin Neshat eben nicht mit. Die Bühne bevölkert sie mit Figurengruppen, die Handlungen aus den projizierten Videos verdoppeln. Ja ja, es herrscht Krieg und die Menschen sind arm dran. Das glauben wir verstanden zu haben. Und spielte Aida nicht am Nil, sondern im Zweistromland, wär's genau so.

Die orientalisch-ostkirchlichem Zeremoniell nachempfundenen Kostüme der rauschebärtigen Priester und der Hofgesellschaft haben etwas von Disneyland. Alles ist in stumpfem Zeremoniell erstarrt. Das ist immerhin ein vernünftiger, nachvollziehbarer Denkansatz. Warum hat man die äthiopischen Kriegsgefangenen in frisch gestärkte und gebügelte weiße Hemden gesteckt, wenn sie vorgeführt werden? Soll die Priesterkaste und die Hofgesellschaft nichts merken von den Kriegsgräueln? Aber dann werden die Leute ja doch hingeschlachtet vor ihren Augen...

Shirin Neshat flieht meist in Tableaus, die sich freilich gut arrangieren lassen in der riesigen, zweiteiligen, drehbaren Kiste. Sie sieht aus wie die Styropor-Verpackung, die eine frisch gelieferte Waschmaschine schützt. Das auszupackende Ding ist Aida. Nun müsste man die Oper bloß noch in Betrieb setzen. Falls sich die Gebrauchsanleitung doch noch findet – bitte lieber keinen dritten Versuch mit Shirin Neshat!

Weitere Vorstellungen am 15., 19., 23., 27. und 30. August im Großen Festspielhaus – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Salzburger Festspiele / Ruth Walz
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