High-Quality-Time mit Bartók

FESTSPIELE / KAMMERKONZERT

13/08/22 Dynamik und Motorik im Klangkosmos von Bartóks Kammermusik: Isabelle Faust, Daniel Ottensamer, András Schiff, Dénes Váron, Martin Grubinger und Erwin Falk als exquisite Exegeten einer exquisiten Musikerpersönlichkeit. Inklusive Berserkerei an zwei Klavieren.

Von Erhard Petzel

Béla Bartók verdient seinen Schwerpunkt bei den heurigen Festspielen, ist er in unseren Konzert-Programmen sonst leider eher spärlich vertreten. Natürlich sind die technischen Anforderungen gerade in der Kammermusik ein nachvollziehbares Hindernis, aber seine unverwechselbare Handschrift in Rhythmik und Klangarbeit, seine oft bizarren Zusammentreffen thematischer Ideen machen ihn zu einem Leuchtturm unter den Komponisten der klassischen Moderne.

Mit dem Titel Kontraste für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111 verdeutlicht Bartók einen Aspekt seiner Arbeitsweise. Die Kontraste werden aus der intensiven Beschäftigung mit osteuropäischer Volksmusik und den zeitgenössischen Musikstilen bei klassischen Themenverarbeitungs-Techniken provoziert. Das 1938 fertiggestellte Werk wurde für Benny Goodman und den ungarischen Geiger Joseph Szigeti geschrieben, der sich aus den praktischen Überlegungen zur Pressung auf Schallplatte eine Zweiteilung wünschte. Auf der einen Seite sollte der Klarinettist seine Kadenz erhalten, auf der anderen der Geiger. Selbstredend, dass sich Bartók zwar daran hält, aber einen langsamen Satz dazwischen schiebt. Die vollständige Version des Stücks wird erst 1940 in der Carnegie Hall uraufgeführt und daraufhin aufgenommen.

Verbunkos, so der Titel des ersten Satzes, bezieht sich auf einen Tanzliedtypus, mit dem im Habsburger Reich um ungarische Rekruten für's Heer geworben wurden. Die Klarinette eröffnet, wird begleitet und vollzieht eine innige melodische Verschränkung mit der Geige. Elegische Phrasen werden abgerissen und entwickeln sich zu rhapsodischen Ereignissen hoher Virtuosität. Entspannung im zweiten Satz, Pihenő. Im Duett innige Bögen der beiden Melodieinstrumente über Klaviertremolo, die Tasten grummeln zu Liegetönen, Kontrastbewegungen reizen magische Klänge aus. Mit Sebes kommt es zum ungarischen Show-Finale. Isabelle Faust setzt an den Beginn Geigenquinten. Daniel Ottensamer hat nicht nur das Instrument zu wechseln, sondern auch noch das Mundstück. Erster Höhepunkt im hochkarätig besetzen Kammerkonzert am Freitag (12.8.) im Haus für Mozart.

Einem langsamen Satz folgt unmittelbar in der Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 Sz 76 ein schneller. Ein Ton am Klavier, dessen Verklingen die Geige in einigen Wiederholungen begleitet: Aus dieser Keimzelle entstehen bedächtig Phrasen. Flageoletts werden vom Klavier unterwurlt. Disparate Bewegungen finden sich zu feinen Elegien, ein absurdes Pizzicato leitet in einen verzogenen Tanz-Marsch über. Nach einigen sich steigernden Anläufen ein Ballett von Intervallsprüngen zu Clustern. Dissonante Impulse des Klaviers unterlegen turbulenten Geigenaktionismus und lassen aus rhythmischen Mustern rhapsodische Ereignisse wachsen. Nach einem starken Anstieg ein ätherisch verhauchter Schluss... Dass das Werk 17 Jahre nach seiner Uraufführung in Berlin bei einer Aufführung in der Washingtoner Kongressbibliothek 1940 befremdete, unterlegt die schwierige Stellung des Komponisten in seiner Diaspora.

Hatte András Schiff mit diesen beiden Werken schon intensivste Pianisten-Aktivität zu entfalten, gesellte sich ihm bei der Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug Sz 110 Dénes Várjon als zweiter Mann am Klaiver zu. Beide Instrumente vereinen sich in dem klassisch dreisätzigen Werk zum Super-Instrument, um einem umfangreichen Schlagwerk Paroli zu bieten, das unter anderem Pauken, Cassa und zwei große Gongs in die Schlacht wirft. Zwecks Ensemble-Kommunikation mit Rückenansicht fürs Publikum.

Bei Martin Grubinger und Erwin Falk ist die Befürchtung des Komponisten, einen weiteren Musiker zu benötigen, kaum mehr nachvollziehbar. Für die heutige Erwartungshaltung ans Schlagwerk (durch die Tätigkeit der beiden maßgeblich entwickelt) bietet dieses Werk einen Osterspaziergang, auch wenn rhythmische und klangliche Anforderungen eine enge Verzahnung der musikalischen Textur mit Fingerspitzengefühl verlangen. Die absolute Berserkerei findet hingegen an den Klavieren statt, sodass selbst den noten-nmblätternden dienstbaren Geistern sportliche Herausforderungen abverlangt werden. Auch in diesem durch Kontraste bestimmten Werk nach orgiastischen Kraftakten das Ausklingen in abgeklärter Zartheit. Kontrast im rauschenden Applaus mit Draufgabe in Folge.

Bilder: SF / Marco Borelli