Eine Tonart, zwei Welten

FESTSPIELE / GUSTAV MAHLER JUGENDORCHESTER

26/08/22 Gewünscht hatte sich genau dieses Programm der Doyen unter den Dirigenten, Herbert Blomstedt. Er msste gesundheitlicher Gründe wegen absagen. Sein 66jähriger Kollege Jukka-Pekka Saraste übernahm die Werkfolge eins zu eins und führte am Donnerstag (25.8.) das Gustav Mahler Jugendorchester zum bejubeltem Abschluss seines Salzburg-Gastspiels.

Von Horst Reischenböck

Das Orchester war viel beschäftigt bei den Festspielen. Noch vor Bartóks Herzogs Blaubarts Burg und Orffs Spiel vom Ende der Zeiten bestritt das Jugendorchester auch das mit Schostakowitsch' Babi Jar-Symphonie (Nr. 13) sehr fordernde, die Ouverture spirituelle eröffnende Konzert dieses Festspielsommers. Dem gegenüber war die nunmehrige Paarung von Früh- und Spätromantik, Franz Schubert und Jean Sibelius, fast schon so etwas wie eine Erholung.

Etwas merkwürdig nach wie vor der optische Eindruck in der Felsenreitschule, auf dessen Podium das Volk – die Dekoration zu Janáčeks Káťa Kabanová – beidseitig am Bühnenrand dem Orchester den Rücken zuwendet. Drehen sich die Puppen im nächsten Moment, um der Musik zu lauschen? Darauf warteten wir ja schon in der Oper vergebens. Wir schätzten übrigens in der Premierenbesprechung die Zahl der so intensiv wegschauenden Puppen auf gut zweihundert. Wie Helga Rabl-Stadler, bei der Vorbereitung dieser Produktion noch als Festspielpräsidentin im Amt, dem DrehPunktKultur jüngst verriet: Es sind derer 420! Sie habe damals angesichts der großen Zahl Rabatt herausgeschunden...

Nun also zwei Sinfonien in derselben Tonart D-Dur – Schuberts Dritte D 200 und Sibelius' Zweite op. 43. Der Barockkomponist Marc-Antoine Charpentier (jener mit der Eurovisions-Melodie) fand diese Tonart freudig und sehr kriegerisch, Johann Mattheson charakterisierte sie zu Zeiten Bachs als scharf, halsstarrig und laut. Christian Friedrich Daniel Schubart, Zeitgenosse der Wierner Klassiker, wollte in D-Dur Triumph, Halleluja und Kriegsgeschrei erkennen.

Da finden sich also schon gedankliche Zusammenhänge, so unterschiedlich diese beiden Werke von der Entstehungszeit her sein mögen. Der Schubert-Symphonie, in dieser Interpretation aller biedermeierlicher Lieblichkeit entkleidet, eignet durchaus kämpferischer Geist. Schon in der pointiert genommenen Adagio maestoso-Einleitung samt hart geschlagen kleiner Kesselpauken, integriert in das mit einem Kontrabassquartett fast kammermusikalisch anmutende Orchester. Im dahinjagenden Kopfsatz setzte Saraste einschlägige Akzente.

Den langsameren zweiten Satz, für Schubert unüblich Allegretto anstelle Andante zu nehmend, ließ der finnische Dirigent luftig dahinschweben, wogegen er die Rahmenteile des Scherzos rhythmisch so gegen den Strich bürsten ließ, dass der Ländler inmitten umso stärker kontrastierte. Dass sich hinter dem stürmischen Finale statt oft herausgestellter Nähe zur Tarantella eine weitere, ausgefuchste Sonatenhauptsatzform verbirgt, wurde hier sehr klar und eindeutig formuliert.

Dann also das großräumige Gegenstück von Sibelius, allgemein als seine lichtvollste Sinfonie angesehen. Bei einem finnischen Dirigenten war sie naturgemäß in besten Händen. Jukka-Pekka Saraste sensibilisierte wie schon zuvor feinfühlig das instrumentale Können der Holzbläser-Solistinnen, der fünf Hörner und die Strahlkraft des Blechs aus dem Gustav Mahler Jugendorchester, rückte mit derselben Aufmerksamkeit die Streicher in den Blickpunkt.

„Ich bin kein Literaturmusiker“,äußerte sich Sibelius. „Für mich fängt die Musik dort an, wo das Wort aufhört.“ Trotzdem packte er in den Andante-Satz Assoziationen an Don Giovanni und „Steinchen zu einem Mosaik“ über Dantes Göttliche Komödie hinein. Aber das zu wissen, braucht es nicht, die Klänge sprechen absolut für sich.

Von der bukolischen Stimmung des Beginns bis zu dem zur Entstehungszeit dieser Symphonie, da Finnland von Russland besetzt war, befreiend wirkenden, strahlend aufgipfelnd Schluss: Ein Kosmorama, überwältigend in den Raum gestellt.

Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli