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Neues über den symphonischen Dauerbrenner

FESTSPIELE / BERLINER PHILHARMONIKER / PETRENKO

29/08/22 Als vor genau fünf Jahren wie Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim zu Festspielende Mahlers Siebente hören ließen, da titelten wir „Ö-Bild mit imperialer Schlussbestätigung“: Die Heile-Welt-Lyriker hatten zusammengefunden.

Von Reinhard Kriechbaum

Nun die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko. Da sieht die Sache mit der vermeintlich bestätigten Rückwärtsgewandtheit, mit dem „vorwiegend heiteren Charakter“, den der Komponist diesem seinen Werk zusprach, schon recht anders aus. Das erklärt sich nicht nur aus der völlig unterschiedlichen Physiognomie der beiden Orchester. Es ist nicht so lange her – 2016 war's – da haben auch die Berliner Philharmoniker am selben Ort und wiederum zur selben Zeit die Siebente hören lassen, damals unter Sir Simon Rattle. Er deutete die achtzigminütige Symphonie mit ihren scheinbar romantisierenden „Nachtmusiken“ und dem eigenwilligen Scherzosatz, in dem sich der Walzerrhythmus nicht und nicht durchsetzen mag, als eine (selbst)ironische Standortbeschreibung Mahlers, der die Felle davonrinnen spürte in einer Zeit, in der schon völlig klar war, dass die Musikgeschichte einen ganz anderen Verlauf, weg von der Tonalität nehmen würde.

Die sagenhafte orchestrale Kraft der Berliner haben wir schon damals hervorgehoben, und sie war jetzt nicht minder prägend. Da zuckte man schon gelegentlich zusammen, schon am Beginn des ersten Satzes, wenn die Streicher die Bögen staubtrocken nah am Steg führen, jede punktierte Note scharf artikuliert wird und die Einwürfe der Bläser markig ins Fleisch schneiden.

Welche Geschichte erzählt KirillPetrenko in der Siebenten? In diesem Satz, und nicht nur hier, macht er Mahlers gefährdete Gegenwart deutlich, denn in den tendenziell destruktiven Marsch wunder-hörndelt es ja doch an jeder Ecke irgendwie hinein. Manchmal bloß hübsch, dann wieder hartnäckig, bevor dieser Teil mit beängstigender Power zackig seinem lautstarken Ende entgegen geht.

Da will man erst einmal rasten und durchatmen, aber Petrenko lässt in der ersten der beiden Nachtmusiken gleich zur Attacke blasen gegen allfällig aufkeimende Lyrik. Dieser Teil scheint es ihm besonders angetan zu haben. Da dimmt er mehmals das Licht, nimmt er den Instrumentationseffekten alle Vordergründigkeit. Besonders deutlich werden in Petrenkos Lesart die Abstürze in ein orchestrales Sfumato der unerwarteten Moll-Trübheiten. In vergleichbare Abgründe führte einst Schubert, aus ähnlicher Pseudo-Behaglichkeit heraus. Erst in der zweiten Nachtmusik wird Petrenko wirklich Sanftheit zulassen. Die fein herausgearbeiteten kammermusikalischen Details gewähren den Ohren eine Kurzzeit-Erholung. Was für eine Ausgewogenheit zwischen Solohorn und Gitarre, um nur ein Beispiel zu nennen.

Und die Moral von der Geschicht? Den aufgedrehten Finalsatz könnte man als trotziges Beharren auf dem Alten oder als sarkastische Abrechnung mit dem hypertrophen Applomb des Fin de siècle deuten. Die Mahler-Exegeten sind sich da höchst uneins. Petrenko schlägt sich auf keine der beiden Seiten, gibt keine eindeutige Antwort – und das ist auch schon die Antwort. Wir können nicht hineinschauen in Mahlers Kopf und es muss sich wohl jeder Hörer seinen Teil denken angesichts des Kuhglockengebimmels, mit dem wir da heimgeschickt werden..

Kirill Petrenko hat eine Fußverletzung samt Operation hinter sich, im zweiten Konzert der Berliner heute Montag (29.8.) lässt er sich von Daniel Harding vertreten. Da gibt’s nun nach der pause nicht die Zehnte von Schostakowitsch, sondern die Romantische von Bruckner. Trotzdem: Schaut man zurück aufs Konzertprogramm der vergangenen sechs Wochen, hat man bei den festspielen fast mehr Zeit mit Schostakowitsch als mit Bartók verbracht. Ein Binnen-Schwerpunkt, der so gar nicht ausgewiesen war im Programm..

Bild: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

 

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