Wie man mit Tönen wirkungsvoll baut
FESTSPIELE / BIBER-REQUIEM
23/07/23 Im Markusdom in Venedig mit seinen vielen Möglichkeiten, Musikergruppen im Raum zu verteilen, hat es begonnen. Tönendes Cinemascope, das hatte in Salzburg auch Heinrich Ignaz Franz Biber im Sinn.
Von Reinhard Kriechbaum
Als Salzburger Hofkapellmeister fand er im Dom auf den vier Emporen im Kuppelraum die besten Voraussetzungen für Raumwirkung. Im Requiem in f-Moll stellte er drei fünfstimmige Chöre neben- und gegeneinander, und in denen wiederum herrscht reichhaltigste Polyphonie. Solches macht, auch wenn die Gruppen von Vox Luminis am Sonntag (23.7.) Vormittag in der Kollegienkirche eng nebeneinander positioniert waren, gehörig Effekt. Aufmerksame heutige Zuhörer merken wohl genau so auf wie es jene beim Begräbnisgottesdienst 1692 für einen Domherren taten, wenn das Lux perpetua, das ewige Licht, aus der Moll-Trübnis in strahlender Dur-Melodik herausleuchtet. Gleich darauf wird die Bitte um ewige Ruhe, Requiem aeternam, nach gut 35 Minuten exzessiver Mehrstimmigkeit plötzlich in homophoner Ruhe gefasst. So geht Musik-Dramaturgie.
Überhaupt war das Programm zur Mittagsstunde geeignet, barocke Kirchenmusik in all ihren im Wortsinn raumgreifenden Möglichkeiten zu fassen. Monteverdi, 1618: Da war der Meister schon mit der eben neu erfundenen Gattung Oper beschäftigt. Für die Laetaniae della Beata Vergine, die Lauretanische Litanei mit nicht weniger als 48 Anrufungen der Maria, mag Monteverdi überlegt haben, wie er im Rahmen des in der Kirche damals Üblichen seinen Hörern doch ein Maximum an Abwechslung bieten könnte. Meisterlich, wie es ihm gelungen ist, die 48 Ora pro nobis-Anrufungen so unterschwellig unterzubringen, dass dem Text entsprochen wird, aber nicht entfernt der Eindruck entsteht, dass hier eine „Litanei“ heruntergeleiert würde.
Das war in diesem Konzert natürlich auch ein Verdienst der fabelhafen Vokalisten von Vox Luminis. Sie haben den Pulsschlag solcher Musik so verinnerlicht, dass Lionel Meunier, der Leiter aus den Reihen des Chors heraus, sich auf ganz kleine Winke beschränken kann. Es läuft einfach alles wie selbstverständlich, auch im Zusammenklang mit dem Freiburger BarockConsort. Es ist die Spitzen-Auswahl aus dem Freiburger Barockorchester. Da sitzt beispielsweise Hille Perl an der Gambe, ohne im Programmheft genannt zu sein... eine Spezialisten-Gruppe sondergleichen.
Das ist dann vor allem Agostino Steffanis Stabat Mater zugute gekommen. 110 Jahre nach Monteverdis Lauretanischer Litanei entstanden, gab's im bald ausklingenden Barock ja ganz andere Ausdrucksmöglichkeiten. Schon die harmonisch düstere, an Dissonanzen reiche Streichereinleitung zu dem von vier Sopranen einstimmig vorgetragenen ersten Vers schafft eine Stimmung, die unter die Haut geht. Et flagellis subditum – da vermeinte man jeden einzelnen Geißelschlag zu spüren und an der Stelle Fac me tecum plangere hätte man mit den eine Quart chromatisch abfallenden Tonfolgen gut mitweinen können.
Auch hier eine bewundernswerte innere Abstimmung, perfekt ausbalanciert, wenn der Komponist beispielsweise in manchen Passagen die Geigen schweigen lässt und eher auf Bratsche und Gambe setzt, alles im Dienst der Ausdrucks. Man konnte aus diesem Konzert der Ouverture spirituelle viel mitnehmen in Sachen barocker Rhetorik. Ganz besonders natürlich bei einem weiteren „Salzburger“ Programmpunkt, der Kreuzigungs-Sonate, der Nummer zehn aus H.I.F.Bibers Rosenkranz-Sonaten. Petra Müllejans hat das blendend gemacht, technisch und im stilistischen Ausdruck, die Kollegienkirche ist freilich dafür ein schon eher zu großer Raum.
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Bilder: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli