Herzensfischer ohne Rute

FESTSPIELE / KAMMERKONZERT WIENER PHILHARMONIKER

12/08/23 Virtuos. Musikantisch. Mitreißend. Wienerisch natürlich auch. Sogar walzerselig, aber ohne Klischees. Das Kammerkonzert von Mitgliedern der Wiener Philharmoniker, samt Gästen an den Tasten, war ein Highlight musikantischer Virtuosität und virtuosen Musikantentums. Das kriegt man auch bei den Festspielen nicht oft zu hören.

Von Heidemarie Klabacher

Albena Danailova, Konzertmeisterin des Staatsopernorchesters seit 2008 und Milan Šetena, Philharmoniker seit 1993. Elmar Landerer, Philharmoniker seit 1996 und Stimmführer der Bratschen seit 2019. Tamás Varga, Solocellist seit 25 Jahren. Michael Bladerer, Kontrabass, Wiener Philharmoniker seit 2002 und deren Geschäftsführer seit 2017 (letztere drei tiefen Streicher am Konzerttag frisch ausgezeichnet mit dem Großen Verdienstzeichen des Landes Salzburg). Dazu Luc Mangholz, Soloflötist seit 2019 und Gregor Hinterreiter, Soloklarinettist seit 2017 und Philharmoniker seit 2019.

Ob diese Truppe seit Jahren miteinander probt und musiziert. Ob sie sich erst jüngst auf Einladung zusammengefunden hat, auf dass die „Wiener“ ein Kammerkonzert zu den Festspielen beisteuern, verrät das Programmheft nicht. Dort gibt es einzelne Lebensläufe, keine Ensemble-Biographie. Selbst wenn sie seit anno Schnee miteinander musizierten, hätte das Ergebnis nicht fulminanter, betörender, aufregender ausfallen können. Auch nicht technisch brillanter: Sei es in der virtuosen, lebendig und präzise phrasierenden Stimmführung von Albena Danailova, sei es in den scheinbar so geruhsam und doch vorwärts drängend den Drive mitgestaltenden Cellopartien von Tamás Varga oder in den typisch wienerphilharmonischen Holzbläserklängen von Luc Mangholz und Gregor Hinterreiter, die „nur“ für die Schönberg-Bearbeitung von Johann Strauß Sohns Kaiserwalzer gebucht waren.

Dem französischen Pianisten David Fray gebührt nach diesem Act eine Ehrenmitgliedschaft, so virtuos – immer präsent, ja eher kraftvoll, aber an keiner Stelle „virtuos“ hervorstechend – ließ er seine Parts aufrauschen oder zurücktreten, in ständigem Kontakt und Austausch mit Kollegin und Kollegen. Johannes Wilhelms Harmonium wurde „nur“ für die Rosen aus dem Süden benötigt, stand dafür aber auch für die stärksten Verfremdungs-Effekte.

Auf dem Programm also Wienerisches diverser „Wiener Schulen“ von Franz Schubert bis Alfred Schnittke. Dessen Trio für Violine, Viola und Violoncello, 1985 zur Feier des 100. Geburtstages von Alban Berg geschrieben, war das Herzstück, von dem aus sich dramaturgische Gedankenfäden bis in die Gegenwart (samt Krieg in Europa) spinnen lassen: Das Werk des deutsch-russischen Komponisten ehrt in seiner Tonalität und Expressivität Alban Berg, begeistert in seiner ungenierten Zitierlust quer durch die Musikgeschichte, erschüttert in seiner noch immer radikalen Zerrissenheit, während seine wenigen harmonischen Ruheinseln an Schubert erinnern. Albena Danailova, Elmar Landerer und Tamás Varga boten eine drauflos-stürmende Interpretation (samt von fernen Gestaden herbeizitierten Traum-Episoden), deren Sogwirkung sich am Freitag (11.8.) im Großen Saal des Mozarteums spürbar niemand entziehen wollte. Es gab sogar Jubel, wenngleich dieser für die das Trio umgebenden Walzer „naturgemäß“ heftiger aufbrandete.

Eröffnet hatte den Abend Franz Schuberts Forellenquintett. Schon die Interpretation des Quintetts für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klavier A-Dur D 667 hatte Jubel geerntet – für seine beredet geführten und delikat ausgeloteten Diskussionen und Dialoge. Für die traumwandlerischen Stimmungswechsel, oft angeführt von der Klarinette, deren aufblühender Klang immer wieder ebenso organisch in den Streichersound zurücktrat. Für die lustvollen Scharmützel zwischen Klavier, Klarinette und Streichern – denen allen der Kontrabass so geruhsam wie klangvoll den Weg wies... Ein Konzertabend stimmig und bewegend wie selten einer.

Bilder: SF / Marco Borrelli