Gift und Melodie

FESTSPIELE / I CAPULETI E I MONTECCHI

20/08/23 Die konzertanten Festspiel-Opern sind jedes Jahr ein Highlight. Da gibt es Vergessenes, Rares oder als un-inszenierbar Geltendes. Zu erwarten ist immer auch ein Sängerfest. Nicht anders heuer: Romeo und Julia sterben konzertant in Vincenzo Bellinis Oper I Capuleti e i Montecchi.

Von Heidemarie Klabacher

Der junge Vincenzo Bellini hat I Capuleti e i Montecchi – auf ein aus mehreren Quellen gezimmertes Libretto – 1830 innerhalb weniger Wochen mit vielen Anleihen bei eigenen Opern geschrieben, und einen Triumph eingefahren. Wie auch die Crew der konzertanten Aufführung in der Felsenreitschule.

Ball und Balkonszene entfallen. Romeo und Julia haben Kennenlernen und erste Trennung bereits hinter sich. Julia schmachtet dem Liebestod entgegen. Romeo ist im Krieg. Die Familienfehde in Verona ist bei Bellini ein Neben-Scharmützel. Die verfeindeten Familien sind vor allem unversöhnliche Parteigänger im Dauerhickhack zwischen Ghibellinen und Guelfen.

Der Romeo ist bei Bellini eine Hosenrolle. Mit der Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina aus der ost-russischen Millionenstadt Ufa dürften die Festspiele wieder einmal einen künftigen Star an sich gezogen haben. Im Engagement ist die Sängerin mit stupender Technik und sagenhafter Präsenz längst zwischen Met und Covent Garden, Zürich und Rom. Ihrer reich timbrierten, spielerisch leicht in alle Lagen geführten Stimme war man jedenfalls vom ersten Takt an verfallen. Technisch „spielte“ sich Aigul Akhmetshina mit den nicht geringen Anforderungen der Partie zwischen tiefem und zweigestrichenem „g“ samt Schlenkerer zum hohen „h“. Stupend die Ausdruckspalette vom jungen Krieger auf Testosteron-Trip bis zum verzweifelt Liebenden.

Zum Verzweifeln ist die Bellini-Julia, die der Situation mit Zaudern (ihr priviligiertes Leben ist ihr wichtiger als die Liebe), Flehen (um die Verzeihung des Vaters, wofür auch immer) und Siechtum begegnet: Elsa Dreisig verleiht dieser klischeehaft „weiblichen“ Giulietta freundliche Züge mit ruhig geführten Linien und klarer Höhe. Eindrucksvoll die vielen acapella-Passagen. Der Tenor Giovanni Sala singt souverän die Rolle des Tebaldo. Er ist der Wunsch-Schwiegersohn von Capellio, einem unversöhnlichen Eiferer in politischen wie privaten Belangen: Michele Pertusi verleiht der Partie eindrückliche düstere Farben. Lorenzo, hier ein Arzt, will nicht nur den Liebenden beistehen (mit bekanntem Ausgang), sondern auch auf den fanatisierten Vater und Politiker Capellio mäßigend einwirken: Roberto Tagliavini versucht dies mit eleganter ruhevoll geführter Stimme.

Marco Armiliato leitet mit dem oft auch erreichten Ziel spritziger Italianità das Mozarteumorchester Salzburg, welches sich üblicherweise ohne koordinative oder intonatorische Hoppalas hören lässt. Bravi dem Chor, der quasi immer und überall seinen Senf kommentierend dazu gibt. Ob Kriegsgeschrei in der Versammlung oder (quasi Lauscher hinter dem Vorhang) Mitleid mit Julias verzweifelter Lage: Die Herren des von Walter Zeh einstudierten Philharmonia Chores Wien machen das so homogen wie facetteneich. Großer Beifall für alle Ausführenden, frenetischer Jubel für den Romeo von Aigul Akhmetshina.

I Capuleti e i Montecchi – eine weitere Aufführung am Montag (21.8.)  www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF /Macro Borrelli