Der Tod und das verlorene Mädchen

FESTSPIELE / WIENER PHILHARMONIKER / WELSER-MÖST

25/08/11 So ein versetztes Fin-de-siècle-Herz hat schon mit gewaltiger Phon-Stärke gelitten. Auch nach einem Vierteljahrhundert noch. So lange lag Alexander Zemlinskys unglückliche Liaison mit Alma Schindler (der späteren Frau Mahler) zurück, als er seine „Lyrische Symphonie“ op. 18 schrieb.

Von Reinhard Kriechbaum

Angeblich ist Zemlinskys Werk, wenn man den Biographen glauben darf, immer noch Klage über diesen amourösen Schlag unter die Gürtellinie. Alma Mahler war pikanterweise damals schon beim über-übernächsten Mann angelangt, aber das nur als Apercu. Vielleicht hätte sie als Muse, wenn sie bei Zemlinsky geblieben wäre, auch ihn vorwärts gebracht. So ist er einer geblieben, über den die Musikgeschichte letztlich gnadenlos ihr Urteil gefällt hat, auch wenn viele Berufene sich seit Jahrzehnten für seine Rehabilitation einsetzen.

Zum Beispiel am Donnerstag (25.8.) die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst, Christine Schäfer (Sopran) und Michael Volle (Bariton). Wenn mal die ersten paar Teile des symphonisch gefassten Liederzyklus (Text: Rabindranath Tagore) überstanden sind, jene Abschnitte, in denen Turandot-Klänge übermäßig wuchern, geht’s eh: vor allem dann, wenn Zemlinsky (aus einer Art Masochismus heraus?) unmittelbaren Mahler-Ton anschlägt. Immer wieder schimmert es in dieser Partitur, es funkelt, gleißt wie in einem Jugendstil-Dekor von Klimt. Das Schmachten eines Mädchens aus dem Volk, das sich der Aussichtslosigkeit seiner Liebe zum Prinzen nur zu bewusst ist und das Wenige an Zuwendung umso heftiger genießt, die Entsagung schließlich – es mangelt nicht an großen Gefühlen. Den Prinzen kratzt die Sache generell weniger: Wenn er im fünften Lied zur Abschiedsrede ansetzt, scheint er nicht nur auf dem hohen Ross zu sitzen, sondern auch im Galopp zu bleiben. Dem „Wein der Küsse“, dem „Nebel vom schweren Weihrauch“ entrinnt er erfolgreich. Stark die letzte Wortmeldung des Soprans: „Vollende denn das letzte Lied“. Es ist mehr Rezitativ als Lied, und es herrscht eine Bratschen-Fahlheit, die von Kontrabass-Haltetönen abgelöst wird, wie man das auch von manchem Mahler-Orchestersatz kennt.

Das Programm – letztes Konzert der Wiener Philharmoniker in diesem Festspielsommer – hätte man natürlich genau so gut dem Zyklus „Mahler-Szenen“ zuschlagen können. Vor der Pause nämlich Schuberts d-Moll-Streichquartett („Der Tod und das Mädchen“) in der Orchestrierung von Mahler. Theoretische Begründung: Schubert sah damals seine Kammermusik eher als Vorstufe zu weiterer symphonischer Entwicklung. Eher praktisch gesehen: Es gab auch zur Mahler-Zeit wahrscheinlich genug Publikum, für das Musik erst mit einer Besetzung von sechzig aufwärts anfängt. Und die bekommen auf diese Weise auch nicht wenig Schubert’sche Intensität ab.

Wahrscheinlich hatte Mahler akkurat die Wiener Philharmoniker dafür im Ohr. Franz Welser Möst hat starken emotionalen Zusammenballungen souverän gelenkt, und wenn man so hinein hörte auf die Variationen, die dem Quartett seinen Namen gegeben haben: Die Ersten Geigen spielen auch in Mahlers Tutti-Version die Erste Geige, und wenn auch nicht jeder in der Gruppe zum Primgeiger taugen mag: Stärker dürfte die Kammermusik- und Schubert-Affinität in keinem Orchester sein. Genau das war das Kapital dieser starken Wiedergabe.

Das Konzert wird am Samstag (27.8.) um 11 Uhr im Großen Festspielhaus wiederholt.
Hörfunkübertragung am Sonntag, 4. September, um 11.03 in Ö1.
Bilder: SFS /